„Weichenstellung für die Bundestagswahl“

■ Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse zu Rot-Grün in Magdeburg: Der Beweis, daß Alternativen zur jetzigen Regierung durchsetzbar sind

taz: Warum ist die Regierungsbildung von Magdeburg für Ihre Partei so wichtig?

Thierse: In Sachsen-Anhalt wird die SPD durch die Existenz der PDS und die öffentliche Demagogie entweder gezwungen, sich in eine Große Koalition unter Führung der CDU zu begeben, oder wir beweisen, daß andere politische Optionen, Alternativen gegenüber der jetzigen Regierung, möglich und durchsetzbar sind.

Das gelingt aber nur dank der Tolerierung durch die PDS.

Das ist sachlich falsch. Die sachsen-anhaltinische Verfassung sieht vor, daß spätestens im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit zur Wahl des Ministerpräsidenten reicht. Rot-grün hat 41 Mandate, die CDU 37 Mandate. Ich empfehle Reinhard Höppner und der SPD, mit den Grünen eine sachliche Grundlage für die Zusammenarbeit zu finden, die dann erlaubt, ihre Anliegen durchzusetzen und sich nicht dadurch beirren zu lassen, ob die PDS zustimmt oder ablehnt. Eine rot-grüne Regierung in Sachsen-Anhalt muß sich nicht von der Zustimmung der PDS abhängig machen. Im übrigen gilt auch die Einladung an die CDU, sachlich mit einer solchen Regierung zusammenzuarbeiten.

Ihr grüner Partner in Magdeburg erklärt seit dem Wahlsonntag, in Sachfragen stimme er mehr mit der PDS überein als mit der CDU. Gefällt Ihnen das?

Über solche Erklärungen bin ich nicht froh, sie besagen aber nicht allzuviel. Das Sachprogramm der PDS ist größtenteils von der SPD abgeschrieben und wird nur noch verziert durch radikale und finanziell unrealistische Forderungen populistischer Art. Über die Realisierbarkeit der PDS-Forderungen dürfte doch zwischen Rot und Grün Einigkeit herrschen.

Die konservativen Leitartikler schäumen vor Wut. Wie wollen Sie denn der Kampagne begegnen, in Magdeburg werde eine „Volksfrontregierung“ gebildet?

Den Volksfrontvorwurf nenne ich heuchlerische Demagogie. Ich lasse ihn mir nicht von Vertretern einer Partei gefallen, die mit zwei Blockparteien aus DDR-Zeiten fusioniert hat — mit der Ost-CDU und der Bauernpartei, die 40 Jahre lang aufs innigste mit der SED zusammengearbeitet haben. Wer mit ihnen fusioniert, hat das moralische und politische Recht verloren, anderen Vorwürfe zu machen, wie sie mit einer postkommunistischen Partei umgehen sollen. Ich stelle für die SPD klar: Es wird mit der PDS keine Koalitionen, keine Bündnisse, keine Tolerierungsabkommen geben.

Was macht Sie so sicher, daß Ihr Vorwurf ziehen wird?

Dieses Argument bewegt sich auf derselben Ebene wie der Volksfrontvorwurf. Nicht mehr und nicht weniger. Was wir sehen, ist ein Zusammenspiel PDS und CDU. Das gemeinsame Ziel liegt darin, ein Reformbündnis jenseits der CDU, das auf Veränderung zielt, zu verhindern. Da müssen wir diesen riskanten Versuch einer rot- grünen Minderheitsregierung schon einmal wagen.

Bedeutet eine rot-grüne Regierung in Magdeburg für die Bundestagswahl nur ein Signal oder auch eine Weichenstellung?

Es ist auch eine Weichenstellung. Wir zeigen den Wählern in Deutschland, daß die SPD das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt ernst nimmt: 60 Prozent wollen dort eine andere Regierung. Der Versuch einer rot-grünen Regierung ist auch notwendig, um den Bürgern im Herbst 1994 eine grundlegende Entscheidung zwischen dem „Weiter so“ und einer neuen reformorientierten Mehrheit aufzuzeigen, deren wichtigste Ziele sind: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, ökologische Reform der Industriegesellschaft, mehr soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit sowie weitere Schritte bei der Demokratisierung unserer Gesellschaft. Wir müssen deutlich machen, daß es realistische, machbare Alternativen gibt. Große Koalitionen müssen und dürfen kein unabwendbares Schicksal sein, das die PDS über uns verhängt. Interview: Hans Monath, Bonn