Dieses „fast“!

■ „Sex & Kotze“: Klasse Comic für umsonst und voll somnambuler Juwelen

Interessante Dinge kommen oft eher unerwartet vorbei. Wie der dünne junge Mann mit seinen frischgewaschenen langen blonden Haaren, der mir neulich am Rand einer Comicausstellung im „Groben Unfug“ ein kleinformatiges Heftchen zusteckte und dann schnell wieder verschwand. Das Heft ist so schmal wie er selbst. Es heißt – nun ja – „Sex und Kotze“.

Unbeachtet blieb es eine Weile in meiner Jackettasche. Weil der Titel irgendwie ziemlich gestört wirkte und weil's Wichtigeres zu bereden gab: „Porno-Thorsten“ Alisch (Wiglaf Droste) erzählte begeistert von einem tollen Band mit Oma-Witzen, die der Zeichner Holger Fickelscherer demnächst bei „Jochen“ veröffentlichen wird; der stille „OL“ berichtete leise, daß er gerade eine schöpferische Pause mache, die Berliner Super-8-Diva Dagie Brundert trank ein Glas Wein nach dem anderen und lachte dabei.

Um samstägliche Nichtsnutzigkeitsgefühle zu bekämpfen oder zu verstärken, kramte ich das Heft jedenfalls erst ein paar Tage später wieder heraus und las und schaute mit wachsender Begeisterung auf allerlei blöde und interessante Absonderlichkeiten. Manchmal sind es nur einzelne Sätze kleiner Geschichten, die als somnambule Juwelen hervorstechen. In einer heißt es zum Beispiel: „Ich kam auf die Idee, mir Papis Pornofilmsammlung anzuschauen, die aus genau zwei Videokassetten, die ich so oft gesehen habe, daß ich alle Filme aus der lebendigen Erinnerung originalgetreu nachdrehen könnte, besteht.“

Nicht nur die „lebendige Erinnerung“ beeindruckte, vor allem dies gleichsam in der Luft am Ende des Satzes surrealistisch, schwankende, beziehungslos, fast autistisch vor sich hinstierende „besteht“ war klasse, und ich summte es vor mich hin, bis ein nächster, diesmal postonanistischer Halbsatz vorbeikam: „...und verwischte die Spuren meines perversen Handelns“. Das hatte durchaus entschlossen bekennerischen Charme! Inwieweit der beabsichtigt war, ist eigentlich egal („Höchste Lust – Unbewußt!“).

Seltsam (eine vage homoerotische Bildergeschichte mit Helge Schneider), doof (Titel und Erklärung des Titels) oder auch uneingeschränkt prima sind die Comics des Heftchens. In „Goofy gegen Lupo“ zum Beispiel variiert der schaue Phil, einer der lustigsten Berliner Comic-Künstler, den naheliegenden Gedanken, daß es sich bei Lupo und Goofy um Helden mit Schwänzen statt Nasen handelt. Selbst die Biere, die die beiden nach diversem Auf-die-Nase- Hauen trinken, kommen irgendwie kindsköpfig phallisch daher.

Dies und anderes rettete mich über einen sinnlosen Samstagnachmittag. Am Abend fand ich bei der französischen Psychoanalytikerin Julia Kristeva („Neue Krankheiten der Seele“; Junius 1994) folgenden Satz, der mir fast, aber eben nicht ganz, zu stimmen schien: „Ist er“ – der „reuelose Narzißt“ der Gegenwart, „nicht deprimiert, dann begeistert er sich für zweitrangige, abgewertete Objekte mit einer perversen Lust, die keine Befriedigung erfährt.“ Dieses „fast“ ist das Moment einer grundsätzlich seltsam-verqueren Subjektivität, die in Heften wie „Sex & Kotze“ durchscheint. Detlef Kuhlbrodt

„S & K“ ist umsonst und liegt meist im Comicladen „Grober Unfug“, Zossener Straße 32–33 aus.