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Moralgeschwängertes Vorwort

■ betr.: „Heute hier, morgen dort“ (Böhse Onkelz), taz vom 24. 6. 94

Es wundert sich der Leser, wie es in der Berliner Redaktion zugeht, vor allem wenn es sich um kulturpolitische Themen handelt. Warum hat die Redaktion das Gefühl, Klaus Farins Onkelz-Artikel zensieren zu müssen, wo doch in der Kompromißformel schon so viel Wahrheit zu finden ist. Ich hätte gerne noch mehr Wahres gelesen! Mir fällt die Diskrepanz in den von Euch veröffentlichten Artikeln bezüglich „schwarzer“ und „weißer“ Musik immer wieder auf. „Weiße“ Musik ist gut, wenn sie vermeintlich links ist, alles andere ist böse. „Schwarze“ Musik ist, egal ob es sich um Hardcore-Rapper oder Soft-HipHopper handelt, immer gut, der größte Käse wird von Euch noch verteidigt, und die Beweggründe dafür bleiben für mich im dunkeln.

Ich glaube den Onkelz, daß sie sich von ihren rassistischen Texten distanziert haben, denn als gute deutsche Rockband haben sie den ganzen „Türken raus!“-Blödsinn nicht nötig. Ich finde es sehr sympathisch, daß Kevin jedes Bier, über das er singt, selbst getrunken haben soll. Das erzeugt doch eine phantastische Credibility, die ein Grönemeyer nur dann besitzt, wenn er über seine Probleme singt, für die Kids einen Platz im Kindergarten zu finden. Ice-T und Chuck D nehmt Ihr das ganze bescheuerte Gangstergehabe ja auch ab und findet das auch noch großartig. Nichts gegen deren Musik, aber dürfen deutsche Bands nach Ansicht der taz-Redaktion nicht ihre Erfahrungen aus den Niederungen unseres schönen Gemeinwesens musikalisch zum besten geben?

Ihr habt kein normales, natürliches Verhältnis zu Musik. Den Männlichkeitswahn deutscher Rockmusiker zu verteufeln, ihn bei amerikanischen aber als Selbstironie zu bezeichnen ist ein kläglicher Versuch, sich eine autonome political-correctness-Welt zu schaffen. Da gefällt mir die Einstellung meiner Freundin besser, die immer sagt: „Verliebe dich nie in einen Jungen, der Luftgitarre spielt!“ In meinem Fall hat sie's dann doch getan, sie kann das bißchen Ausrasten eben tolerieren.

Das, liebe AlternativtageszeitungsmacherInnen, ist ein natürliches Verhältnis zu Musik und ihren LiebhaberInnen, nicht Eure pseudointellektuellen Versuche, Musik in gut und schlecht zu unterscheiden, indem Ihr Euren AutorInnen Kompromißartikel (ein ultramieses Verhalten übrigens) aufdrückt.

Ich rege mich immer wieder gerne über Euch auf und wünsche Euch viel Spaß. Sascha Langenbach, Hamburg

Das Vorwort zu dem Onkelz-Artikel ist absolut Spitze! Man möchte meinen, das „linke“ Kulturestablishment steht vor dem Ausstieg der Onkelz aus der rechten Szene vor der totalen Krise. Da sind die einfach ausgestiegen, ohne „die entscheidende Frage“ nach dem Wie und Warum zu beantworten. Dürfen die denn das überhaupt?!

Laßt das nächste Mal doch einfach das moralgeschwängerte Vorwort weg oder bringt den Beitrag gar nicht erst.

Und überhaupt, worüber regt Ihr Euch eigentlich auf? Etwa über das Lied „Türken raus“? Meat Loaf war Euch die Überschrift „Gnade, der Klops kommt zurück!“ wert. Aber der ist ja bloß adipös, und wer hat in der Schule nicht mit über den „Klassenfetti“ gelacht, außer wenn man es selbst war. G. Klemm, Berlin

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