Einer, auf den die Welt nie gehört hat

■ Der neue Premier Tomiichi Murayama gilt als Anwalt der kleinen Leute. Beim G-7-Gipfel trifft er nächste Woche die großen Herren der Welt. Und hätte deshalb fast nicht kandidiert.

„Tomiichi Murayama ist ein ernsthafter Mann, dem wir Arroganz und Überheblichkeit nicht nachsagen können. Vielmehr ist seine Warmherzigkeit eine große Ausnahme in der japanischen Politik.“ Die da so über Japans neuen sozialistischen Premierminister schwärmt, ist Mahiko Tanaka, eine knallharte und willensstarke Konservative, politische Erzfeindin Murayamas.

„Wenn im Zweifel, stehe auf der Seite der einfachen Leute und lerne von ihnen“, so lautet das politische Motto Murayamas. Wie aber läßt sich das anbringen, wenn der Sohn einer armen Fischerfamilie aus Südjapan demnächst in Neapel am Konferenztisch des Weltwirtschaftsgipfels teilnimmt? Von Murayamas engsten Vertrauten war zu hören, daß er sich lange gegen die Kandidatur fürs höchste Amt gewehrt hatte, eben weil er sich seine Teilnahme am Tisch der Großen in Neapel nicht vorstellen konnte. Schon warnte ihn die Wirtschaftszeitung Nikkei, daß er sich während der Gipfelgespräche nicht allein auf die vorbereiteten Notizen der Bürokraten stützen dürfe – sonst würde der Westen das Vertrauen in den neuen Regierungschef sofort verlieren. Allerdings darf Murayama daran zweifeln, ob er dieses Vertrauen überhaupt je gewinnen kann. Seine Geschichte als Arbeiterführer, Pazifist und Verfechter von Fischerinteressen brandmarkt ihn als jene Art Japaner, auf die die Welt nie gehört hat. Sozialisten und Gewerkschafter, Umweltaktivisten und Atomkraftgegner erschienen in Japan meist als zu vernachlässigende Gruppen, ohne daß das westliche Ausland merkte, wie groß ihr Einfluß in Japan war, beispielsweise auf die energie- und umweltpolitische Wende Mitte der siebziger Jahre. Tomiichi Murayama selbst kümmerte sich schon in dieser Zeit um die Sozialpolitik des Landes, avancierte zum Rentenexperten in einem Land, in dem sonst meist nur die großen Firmen für ältere Mitmenschen sorgen. Und so ist der Premierminister tief mit den landwirtschaftlichen Strukturen Japans verbunden – Millionen alter Leute verdienen ihren Lebensunterhalt noch heute mit der Bewirtschaftung einiger Hektar Reisland. Mit seinem Mitgefühl für Japans Alte dürfte Murayama freilich in der Welt auf wenig Verständnis stoßen. Öffnung der landwirtschaftlichen Märkte, Deregulierung, Zulassung von Großmärkten, die mehr Importwaren verkaufen: all das wird der Weltwirtschaftsgipfel nächste Woche vom neuen japanischen Premier fordern. Wie soll ein warmherziger Mensch, der vom Ausland noch wenig gesehen hat, da reagieren?

Doch vielleicht gelingt es Murayama ja auch als Premierminister, einen direkten und offenen Ton zu finden. Gegenüber der üblichen Heuchelei japanischer Diplomaten, die sich stets als die besseren Vertreter westlicher Interessen verkaufen, wäre das auch für den Weltwirtschaftsgipfel eine willkommene Abwechslung. Zumindest aber sollten Kohl und Clinton lernen, daß ihnen nicht mehr wie bisher ein Vertreter des japanischen Großkapitals gegenübersitzt, sondern ein bescheidener Anwalt der kleinen Leute. Schon im letzten Sommer hatte der 70jährige Murayama seinen Rückzug aus der Politik angekündigt, und nur weil die Fischer in seiner Heimatstadt in Oita ihn drängten, kandidierte er ein weiteres Mal.