Sanssouci
: Nachschlag

■ Ernie Reinhardt mit "Lands End" im Kama-Theater

Wie zufällig treffen sie sich auf der Bühne: „Ach, du auch da?“ „Ja, noch.“ Den Koffer hat er schon in der Hand. Weil die Stimmung leicht gedämpft ist, soll der andere doch mal was spielen, was Schönes auf dem Klavier. Danach gerät Bobby so ganz nebenbei ins Reden. Er erzählt und singt davon, wie's anfing: Vom Dorf, den dortigen Beerdigungen, den „gutnachbarlichen“ Beziehungen und dem alles beherrschenden Kuhfladenmief. Er besingt auch die ersten Küsse und Knutschereien mit Bernhard, Werner und Karsten. Ernie Reinhardt, u.a. bekannt als Lilo Wanders vom „Schmidt Theater“ aus Hamburg, erzählt in seinem Musical die Vita von Bobby, der von Mann zu Mann zieht und schließlich ins „Lands End“ und an Hermine gerät. Hermine ist rothaarig, ältlich, spitzbusig, breithüftig, großherzig und poliert, in eine grüne Küchenschürze genudelt. Mit einem Blick erkennt sie den finalen Herzschmerz des Frischgetrennten: „Junge, auch wenn du's jetzt nicht glaubst, du kommst drüber weg.“ Hermine heißt eigentlich Herrmann oder Hermeline, wenn sie als Königin der Nacht auf der monatlichen Fete die Schwulenbar zum Funkeln bringt.

Ernie Reinhardt indes bringt das Kama mit dieser Doppelrolle zum Funkeln, auch wenn er keine glitzernden, schrillkreischenden Tuntennummern draufhat. Zwar ist seine Hermine korpulent, dick aufgetragen wird hier jedoch nicht. Ihr im Song eingebautes „Uh“, das sonst so gerne overstyled schmachtend ins Mikro gehaucht wird, stößt sie aus wie ein Schiffshorn: sie ist selbst im mondän silberglitzernden Fummel eine patente Frau. Auch Bobby brilliert nicht mit strotzendem Eros und fitnessgestähltem Body. Solch Blendwerk hat Ernie Reinhardt nicht nötig. Im Gegenteil, er selbst weist auf Bauch- und Brustansatz hin, die im Feinripp ganz besonders gut zur Geltung kommen. Dafür behrrscht er die Zwischentöne und den Rhythmus des Erzählens. Er setzt seine Pointen nach der klugen Regievorgabe von Frank Düwel gezielt, exakt und dezent. Das eigentlich Wichtige nämlich, über das man kaum etwas mehr sagen kann, ohne in Peinlichkeiten zu verfallen, das Thema seines Musicals – Aids – hält er klein. Über eine „Probiersituation“ wird es entwickelt: Hermines monatliche Fete soll dieses Mal eine mexikanische Totenfeier sein, weil dort auf den Gräbern getanzt wird. Bobby und der (hervorragende) Pianist Dirk Bleese sind mit der Deko zugange, sie stellen Kartons mit Totenköpfen auf. Da kommt ihnen dieses Lied in den Sinn, das Lied vom Arschloch, das bald zuklappt. Ein dreckiges, herbes Faschingslied, das das Hier und Heute besinnungslos feiert. Bei Ernie Reinhardt aber wird es zur Allegorie. Zum Zeitpunkt des Erzählens nämlich ist Hermine bereits tot.

Die Trauer im „Lands End“ ist angenehm wortlos. Was soll man zum langsam verschlingenden Tod schon sagen? Als Bobby in der Erinnerung von Hermines Krankheit hört, tanzt er mit dem Pianisten im schleichenden Walzerschritt von der Bühne, im Dunkeln spielt das Klavier vom Band weiter. Petra Brändle

Bis zum 14.7., 20 Uhr, täglich außer Mo, Kama-Theater, Schwiebusser-/Ecke Friesenstraße 14, Kreuzberg.