Mehr Ruhe im Osten

■ Im Osten Berlins läßt sich ungestörter Fußball-WM gucken, da noch immer viele Haushalte auf ihr Telefon warten müssen

Nicht alle müssen sich heute abend ärgern, daß stets jemand während des Länderspiels anruft. Sie haben überhaupt keine Probleme mit ungewollten Störungen; diese Leute ärgern sich statt dessen darüber, daß ihr Antrag auf einen Telefonanschluß nach unmöglich langer Zeit noch immer nicht die ersehnte Quasselkiste herbeigezaubert hat.

„Ab und zu kommt auch mal einer dieser Unzufriedenen zu uns in die Beratung“, berichtet Ulli Pieper von der Berliner Mietergemeinschaft. „Leider können wir da gar nichts machen.“ Wer einen Telefonanschluß beantrage und somit Kunde der Telekom werden wolle, tue dies nicht in seiner Eigenschaft als Mieter, fügt er bedauernd hinzu. So werden diese Leute wieder unverrichteter Dinge nach Hause geschickt.

Deshalb muß jedoch nicht unbedingt Jahre auf das Telefon gewartet werden. Ein Medizinstudium kann zur Beschleunigung des Verfahrens Wunder wirken: Ärzten und anderen Telekom-Kunden, die nachweisen können, daß sie ihren Anschluß zu gewerblichen Zwecken benötigen, wird ein besonderer Service zuteil – die drahtlose Anschlußleitung (DAL). 12.500 Geschäftskunden erhielten dadurch in kurzer Zeit einen Telefonanschluß, ohne verkabelt werden zu müssen.

Privatkunden müssen länger warten

Privatkunden der Telekom müssen allerdings länger auf das eigene Telefon warten. Die Telekom erklärt dies in einer Werbebroschüre: „Geschäftskunden haben für den Aufbau große Bedeutung. Deshalb werden Aufträge aus diesem Kundenkreis mit Vorrang bearbeitet.“

Trotzdem können auch im Ausbau der Ortsnetze Rekordzahlen vorgelegt werden: Bereits im Frühjahr 1990 wurde das Programm „Telekom 2000“ erstellt, worin der Auf- und Ausbau der Telekommunikation in Ostdeutschland bis 1997 angestrebt wird. Mit den dafür vorgesehenen 60 Milliarden Mark ist die Telekom der größte Einzelinvestor in den neuen Bundesländern.

Ende 1993 war die Zahl der Anschlüsse in den neuen Ländern von 1,8 Millionen (1989) auf 4,1 Millionen gestiegen. Damit sind in Ostdeutschland mehr Telefonanschlüsse installiert worden, als seit der Einführung des Telefons im Jahre 1881 bis zum Ende der DDR. Letztendlich sollen 5,7 Milionen Anschlüsse gelegt werden.

In den Jahren 1991 bis 1993 ist der Ausbau der Ortsnetze sogar stärker vorangetrieben worden als ursprünglich vorgesehen. In diesem Zeitraum wurden über 2,3 Millionen Anschlüsse installiert. Für das „Projekt Metropole Berlin“ hat die Telekom von 1994 bis 1997 8,1 Millionen Mark eingeplant. „Das Versorgungsniveau soll bis Ende 1995 in ganz Berlin westdeutschen Standard erreicht haben“, erklärt Karl-Heinz Schröter, Pressesprecher der Telekom Berlin. Die Bezirke Friedrichshain und Mitte werden aller Voraussicht nach die Schlußlichter in Sachen Telefon sein.

„Im Friedrichshain verläuft die Zusammenarbeit zwischen dem Tiefbauamt und der Telekom auch nicht reibungslos“, ärgert sich Annett Biernath aus der Abteilung Bauen und Wohnen des Bezirksamtes. In der Regel würden Abstimmungen zu Straßenarbeiten bereits zwei Jahre vor Baubeginn getroffen. Innerhalb dieser zwei Jahre bestünden noch mehrere Möglichkeiten zur Absprache, erläutert Biernath.

Bürgersteig wurde wieder aufgerissen

„Aufgrund einer äußerst kurzfristigen Planungsänderung der Telekom wurden am Frankfurter Tor neu hergerichtete Bürgersteige wieder aufgerissen. Hätten wir rechtzeitig Bescheid gewußt, wären die Gehwege erst später gestaltet worden“, beschwert sich Biernath. Daß die Telekom dort früher als vorgesehen ihre Kabel verlegte, ist an sich erfreulich. Doch andererseits entstanden hier vermeidbare Mehrkosten. „Die Kosten trägt zwar die Telekom, aber bei uns stehen die Bürger auf der Matte und fragen, warum wir das Geld zum Fenster rausschmeißen“, klagt Biernath.

Ein Gang zum Bezirksamt Friedrichshain wegen Nachfragen in Sachen Telefon ist aber ohnehin nicht sehr empfehlenswert: Dort gibt es zwar Mitarbeiter, deren Job es ist, die Zusammenarbeit mit der Telekom zu koordinieren. Aber nur wenn es darum geht, daß im Bezirksamt überall Telefon gelegt wird. Für den Ausbau der Ortsnetze und Bürgerbelange, die damit zusammenhängen, fühlt sich niemand so recht zuständig. Auch Bezirksbürgermeister Helius Mendiburu sieht hier offensichtlich keinen Handlungsbedarf: Er verweist auf die Telekom.

Den Berlinern, die noch bis Ende 1995 auf das eigene Telefon warten müssen, bleibt nur der schwache Trost, nicht so häufig beim Fernsehen gestört zu werden wie andere. Lars Klaaßen