Wo sich Fuchs und Hase noch Gute Nacht sagen

■ Brandenburg war schon zu Zeiten Theodor Fontanes beliebtes Ausflugsziel für die Berliner / Im seenreichsten Bundesland leben Fischadler, Biber und Großtrappen

Wenn sich die Blechlawinen in der Mittagshitze über die Asphalttrassen schieben und über der Stadt ein stinkender Abgasnebel liegt, ist es schwer vorstellbar, daß unmittelbar vor der Haustür Berlins die Störche ihre Kreise ziehen. Entdeckungsfreudige Naturliebhaber wissen es längst: Das als märkische Streusandbüchse verschrieene Brandenburg hat mehr zu bieten als trockene Kiefern und staubige Feldwege.

Mit riesigen Seen und über 30.000 Kilometern Flußläufen ist Brandenburg nicht nur das gewässerreichste Bundesland, sondern sogar eines der seenreichsten Gebiete Mitteleuropas. Wie auch in Mecklenburg-Vorpommern sind dort noch seltene Vogelarten zu Hause, die in anderen Regionen weitgehend verschwunden sind: See-, Schrei- und Fischadler sowie Schwarzstörche und Großtrappen, die auch „fliegender Strauß des Nordens“ genannt werden. Die über einen Meter großen Trappenhähne gelten mit ihren zehn bis sechzehn Kilogramm Gewicht als die schwersten flugfähigen Vögel der Welt.

Im dünnbesiedelten Land Brandenburg befinden sich die umfangreichsten Großschutzgebiete Deutschlands: der Spreewald, die Schorfheide-Chorin und die Märkische Schweiz, um nur die bekanntesten zu nennen. Zur Zeit nehmen die Großschutzprojekte 14 Prozent der Landesfläche ein. Großschutzgebiete sind eine Mischung aus Nationalparks, Biosphärenreservaten und Naturparks. Während die Menschen aus den Nationalparks weitgehend ferngehalten werden, damit sich die Natur frei entfalten kann, werden in den Biosphärenreservaten Naturschutz und Landnutzung miteinander verknüpft. Die Naturparks dagegen können für den „sanften“ Tourismus genutzt werden. Durch die geplante Integration weiterer Gebiete soll der Anteil der Großschutzgebiete auf 25 bis 30 Prozent der Landesfläche erhöht werden.

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Theodor Fontane seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg beschrieb, war die östliche Region des Landes für die Berliner ein beliebtes Ausflugsziel: „ ... und bei bloßer Nennung des Namens steigen freundliche Landschaftsbilder auf: Berg und See, Tannenabhänge und Laubholzschluchten, Quellen, die über Kiesel plätschern und Birken, die, vom Winde halb entwurzelt, ihre langen Zweige bis in den Waldbach tauchen“, schwärmte der Dichter über die Märkische Schweiz. Hundert Jahre später, am 1. Oktober 1990, wurden 205 Quadratkilometer des Buckower Wald- und Seengebiets zum Naturpark erklärt.

Das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin ist – nach dem Wattenmeer – mit 1.258 Quadratkilometern das größte Schutzgebiet Deutschlands. Die Seen eignen sich fast alle noch zum Baden. Der größte und klarste ist der Parsteinersee. Obwohl die Artenvielfalt der Tiere in den letzten 30 Jahren erheblich zurückgegangenen ist, wurden nach Angaben des Umweltministeriums noch 40 Bibersiedlungen und 47 Libellenarten an den Gewässern gezählt. In den Wäldern wimmelt es dagegen geradezu von Rotwild. Rudel von 80 bis 120 Tieren, heißt es, seien keine Seltenheit.

Der Spreewald mit seinem vielarmigen Gewässersystem ist als eines der bekanntesten Ausflugsgebiete vom Massentourismus schon richtig gebeutelt. An Wochenenden kommt es auf den Zufahrtsstraßen oft zu langen Staus.

An der Oderaue zwischen Hohensaaten und Szczecin dagegen sagen sich Fuchs und Hase noch Gute Nacht. Dort ist der deutsch- polnische Naturpark „Untere Oder“ mit einer Länge von 60 Kilometern geplant. Die in den vergangenen 40 Jahren fast unberührt gebliebene Oderaue auf polnischer Seite gilt als ein in Mitteleuropa einzigartiges Biotop mit 268 Pfanzen- und 226 Vogelarten. Allerdings regt sich auf deutscher Seite erheblicher Widerstand gegen das Projekt. Vor allem von den Landwirten, die zugunsten der Totalreservate auf Nutzflächen verzichten müßten. Die Fronten zwischen dem brandenburgischen Umweltminister Matthias Platzeck (parteilos) und Landwirtschaftsminister Edwin Zimmermann (SPD) verhärteten sich so, daß das Gesetzesvorhaben den Landtag nur mit erheblicher Verspätung erreichte und in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht mehr verabschiedet werden wird. Noch ist Platzeck jedoch optimistisch, daß es den Nationalpark „Untere Oder“ 1995 geben wird. Plutonia Plarre