Attacken auf Tiroler Köpfe

Der ästhetisch verfremdete Tirolerhut oder: Neue Strategien braucht das Alpenland. Ein Symposium über Krisenmanagement und Sanierungsmöglichkeiten suchte in Kirchberg nach Wegen aus der Tourismus-Krise  ■ Von Christel Burghoff

Das schwärzeste Statement zur Lage in Tirol landet der Kabarettist: „Je leerer der Kopf, um so echter der Unsrige!“ Gerhard Sexl gibt einen satten satirischen Überblick über Mentalitäten im Land der Skilehrer, Schuhplattler und Bergbauern. Er mimt einen selbstherrlichen Wirt, ein mittelständisches Unikum, das rumpelt und zotet, buckelt und jammert, unter der Hand immer seinen Vorteil sucht und dabei seinen Schnitt macht.

Da sitzt man artig beim festlichen Abendessen, das die Veranstalter des Symposiums „Entwicklung und Professionalisierung im Tourismus“ (Arbeitskreis Freizeit und Tourismus an der Universität Innsbruck) ausgerichtet haben, und applaudiert über die Alpenposse. Tags darauf – der böse Sketch hat sich längst im Gehirn festgesetzt – weiß auch Tourismus- Fachfrau Felizitas Romeiß-Stracke, daß es zwischen den Ohren des durchschnittlichen Tirolers nicht stimmt: Könnte man doch den Tirolern neue Köpfe verpassen! „Exorbitant häßlich“ ist es hier, meint sie, alles „hausgemacht“. Von wegen heile touristische Welt: „Den schön fotografierten Ortsprospekten muß endlich die Realität hinterherkommen!“

Nett und ruhig liegt der Tagungsort Kirchberg inmitten saftigen Grüns und steiler, skigerechter Berghänge, mit freiem Blick aufs Kitzbüheler Horn. Kaum vorstellbar, daß bei dieser Leere hier im Winter der Teufel los ist. Natürlich ist die Idylle nicht „echt“. Auf Kosten von Natur und Kultur wurde mechanisiert und verdrahtet, zersiedelt und ungeniert Alpenbarock und Heimatkitsch produziert. Die Krise des Alpentourismus ist heutzutage Synonym für die Umweltkatastrophe.

Auch die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Bewohner gerät in die Krise: „Von 30.000 touristischen Betrieben in Österreich brauche ich mir nur über 10 Prozent keine Sorgen zu machen“, erklärt Maria Fecker, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Niedrige Bettenauslastung, geringe Arbeitsproduktivität, hohe Verschuldung, fehlende Betriebsnachfolger, Mangel an Mitarbeitern, Auflassung von Beherbergungs- und Gastbetrieben: so charakterisieren die Veranstalter dieses Symposiums die brenzlige Situation. Fast 40 Prozent der Betriebe sind „Mama-Papa-Betriebe“, die allenfalls mit Hilfskräften arbeiten, berichtet der Tourismusberater Manfred Kohl. Über 90 Prozent der Betriebe haben weniger als zehn Angestellte. Mehr als 10 Prozent des Umsatzes müssen in vielen dieser Betriebe allein für Zinsen aufgebracht werden – von der Schuldentilgung für die Investitionen der vergangenen Jahre kann keine Rede mehr sein. Unter der Krise leiden besonders „mittlere“ Betriebe, die zwischen 55 und 110 Betten bewirtschaften: sie sind weder klein genug noch groß und professionell genug, um flexibel reagieren zu können.

Neue Strategien sind gefragt. Die Krise soll gemanagt werden. Und dafür hat jeder ein anderes Medikament. Im Gasthaus sitzen und Besitz ausstrahlen reicht für den Direktor der Tirol-Werbung, Andreas Braun, nicht mehr. Damit die Betten voll werden, muß umgedacht werden. Um Krisenmanagement, um nichts anderes geht es. Zur besseren Selbstbehauptung auf dem Markt empfehlen die Veranstalter des Symposiums den Weg in die Professionalisierung. Felizitas Romeiß-Stracke gibt den Rat, sich so schön wie möglich zu machen, um bei den Kunden besser anzukommen.„Es bestehen nur zwei Alternativen: erstens perfekte Kulissenschieberei oder zweitens Zeitlosigkeit.“

Aber mit den Schönheitsvorstellungen ist das so eine Sache, erfuhr man schon zur Auftaktveranstaltung vom Bürgermeister von Kirchberg. „Je primitiver, je kitschiger – das gefallt dem Gast.“ Gern würde man das Jodel-Image loswerden und diskutierte deshalb die „Software“. Wie Wendelin Weingartner, Tiroler Landeshauptmann, es ausdrückte: „Wir wollen auf die Dauer damit Erfolg haben, was ehrlich ist.“

So hält es beispielsweise die Tirol-Werbung mit „Gegenwart und Ästhetik“. Ungewohnt avantgardistisch sind ihre großformatigen Werbebroschüren und Infomaterialien gestaltet. Statt eines bodenständigen Alpländlers bildet sie lieber den perfekten Torso eines männlichen Models ab. Andreas Braun, der Direktor (er wird als „Philosoph“ vorgestellt), beruft sich auf den französischen Philosophen Baudrillard und argumentiert souverän mit der wachsenden Signalwirkung der Zeichen und Bilder.

Der Trick ist leicht nachvollziehbar: der Tirolerhut wird ästhetisch verfremdet; mit Klischees wird gegen Klischees angegangen. Dies spricht neue Kundenkreise an. Regelmäßig sorgt Braun mit seiner Werbung für Aufregung im Land. Mehrheitlich provoziert sie im Tiroler das mittelständische Unikum: „Rausgeschmissenes Geld“, schimpfen die Tagungsteilnehmer (meist Hoteliers), „man stelle sich mal vor, damit wird in den USA für uns geworben!“

Genüßlich haut Frans van Steenis vom Großveranstalter Holland International/ITS in diese Bresche: „Ich verstehe wirklich nicht mehr, was Tirol vermarktet – zwischen den Ohren entsteht kognitive Dissonanz!“ Van Steenis preist als Allheilmittel die gesichtslose Vollvermarktung des Produkts Tirol. Da haben „Qualitätsgurus“ natürlich schlechte Karten. Der Tourist wolle „das alte Österreich“ und preiswerte Angebote. Lieber ein Bett verramschen als eine verlorene Nacht beklagen, wird den Hoteliers ans Herz gelegt. Hans-Dieter Toth, Incoming-Spezialist und Agenturchef aus Kitzbühel, schiebt nach: Das Bettenangebot müsse über zentrale Agenturen verwaltet werden. „Selbsternannte Tourismusprofis glauben, daß die Gesetze des Marktes hier nicht gelten.“ Er hält dem Vorwurf von „Knebelverträgen“, die er Hoteliers aufnötige, die anerkannte Professionalität der Anwälte entgegen. Die können nicht irren. Aber in der Tat rütteln die Vertragsbedingungen am Grundselbstverständnis der Tiroler Kundenpflege: „Ja“, steht da unter anderem geschrieben, „ich verpflichte mich, Weihnachts-, Neujahrs-, Ostergrüße und dergleichen keinesfalls direkt an den Kunden zu richten.“ – „Natürlich muß da niemand mitmachen“, aber „Sie machen einen Fehler, wenn Sie da nicht mitmachen“, so Toth.

Manfred Kohldagegen verkauft betriebswirtschaftliches Know- how. Seine Problemsicht der Klein- und Kleinstbetriebe gibt mindestens soviel Einblick in die sozialen Gegebenheiten wie die Späße des Kabarettisten. Man kann glatt vermuten, daß die Einführung der professionellen Betriebsführung im Mama-Papa-Betrieb am patriarchal-konservativen Grundmuster rüttelt. Denn häufig trifft dort Papa die Entscheidung wider alle betriebswirtschaftliche Einsicht allein, der Rest der Familie steht nach Jahren unerwartet vor einem Schuldenberg.

Rezepte gab es bei der Tiroler Tagung genug. Längst ist die Wachstumsbranche Fremdenverkehr an ihre natürliche Grenze gestoßen. Doch die Wirtschaft, strukturell darauf ausgerichtet, ist abhängig vom Umsatz im Fremdenverkehr. Qualifizierung, Professionalisierung, Verschönerung, Kooperation, Technik und Neuorganisation sollen die mittelständische Wirtschaft nachhaltig beleben. Warum, fragt man sich, wird bei so viel Kompetenz nicht über ökologische Neuorientierungen diskutiert? Warum wird keine umweltfreundliche Tourismusentwicklung thematisiert?

Die Krise der Alpen war auf diesem Symposium lediglich eine Geschäftskrise. Aber Sanfter Tourismus, so der Veranstalter Prof. Peter Haimayer, der ja viel mit Ökologie zu tun hat, habe hier nicht gegriffen, sprich: sich nicht ausgezahlt.

Auch weiterhin will man auf dem Gegebenen aufbauen, Strukturen nicht gänzlich hinterfragen. Denn ökologisches Denken ist offensichtlich eine Privatangelegenheit und kein übergeordnetes Ziel. Und so findet sich im ästhetischen Patchwork des Tagungshotels zwischen zahlreichen Alpenmotiven in Öl und den modernen, überdimensionalen Schwarzweiß-Torsos der Tirol-Werbung auch klein und fein in Gold gerahmt das Tiroler Umweltgütesiegel der Tirol-Werbung. Eindeutiges Signal: Hier wird ökologisch gewirtschaftet.