Irgendwie noltesk

■ Die Böhsen Onkelz wissen, was sie tun. Eine Gegenrede.

Am 24. Juni erschien auf den Kulturseiten der taz Klaus Farins Text „Heute hier, morgen dort“, eine Verteidigungsrede auf die Böhsen Onkelz, denen Farin einen geglückten Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene attestierte. Klaus Walter, der heute antwortet, ist freier Autor, DJ und „Prinz“-Redakteur in Frankfurt.

Ein Onkelz-Expertenstreit von Klaus zu Klaus ist so ziemlich das Letzte, was ich hier anfangen will. Schon allein, weil ich im Unterschied zu Klaus Farin kein Onkelz- Experte bin. Denn über die Onkelz, so Farin in seinem Rehab- Text in der taz, darf nur reden, wer die Onkelz schon mal selber gehört hat. Gelegentlich habe er sich „das Vergnügen geleistet, KollegInnen, die in ihren Beiträgen den Song ,Türken raus‘ erwähnt oder gar daraus zitiert hatten, anzurufen mit der Bitte, mir den Song doch einmal zu kopieren. Ergebnis: Kein einziger hatte ihn jemals gehört. (...) Alle beriefen sich ausnahmslos auf frühere Berichte anderer Medien.“

Nun ja, ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen, Farin, aber sag' mir, wie können wir uns über Auschwitz unterhalten, wenn keiner von uns dabei war? Können wir uns ausnahmslos auf Berichte anderer Medien berufen? Von 120 Onkelz-Songs, so rechnet Farin dann irgendwie noltesk vor, hatten doch bloß drei rechtsextreme bzw. rassistische Texte: „,Deutschland den Deutschen‘, ,Türken raus‘, Stücke, deren Text sich im wesentlichen in diesen Parolen erschöpft.“ Was, Farin, heißt hier „erschöpft“? Wie explicit darf's denn noch sein?

„Die Böhsen Onkelz waren eine der authentischsten Prügelbands der frühen achtziger Jahre.“ Da spricht aus Farin mal wieder die bewundernde Sehnsucht nach dem unverbildeten Prollhool, der im Grunde seines schlichten Herzens kein schlechter Kerl ist. Und genau an diesem Evergreen aus der Wurlitzer-Jukebox der linken Melancholie haben sich im Lichterketten-Dezember '92 auch Leute wie Cohn-Bendit und Schwarzer aufgehängt, als sie sich in die vorletzte Onkelz-Rehab-Kampagne eingeschaltet haben.

Die Frankfurter „Da muß man doch mal drüber reden können dürfen“-Tabubrecher surften seinerzeit auf derselben treudoofen Anti-p.c.-als-neo-antiautoritärer- Antidogmatismus-Welle wie Tierfreundin Alice Schwarzer. Die verteidigte Hundefreund und Onkelz- Kopf Stephan Weidner auf vier Emma-Seiten gegen einen vermeintlichen (d.h. von ihr, Farin & Co.) behaupteten linken Mainstream als mißverstandenen Underdog: „Sie (die Böhsen Onkelz, K.W.) sind einfach genau die Jungs, für die sich die Demokratie angeblich so brennend interessiert: Jungs, die es schwer hatten; Jungs, die mal Scheiße gebaut haben; Jungs, denen das heute leid tut und die einfach spannenden Rock machen.“

Wie Alice, die alte Rockerbraut, findet auch Klaus Farin den drögen, männerbündelnden Metallica-Ersatz-Ersatz-Rock der Onkelz „spannend“, nein, er findet ihn sogar „geil“! Der taz hat er das verschwiegen, er wird wissen warum. Bloß der proletarischen Jugend hat er's anvertraut, die liegt ihm am Herzen. Dazu ein Zitat aus meinem Text „Denn sie wissen, was sie tun“, erschienen im Konkret-Extra, Januar '94 (letzten Winter zeigten sich weite Teile der linksliberalen Öffentlichkeit plötzlich überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Onkelzschen „Läuterung“. Die Band spielte unter reger öffentlicher Anteilnahme beim „Rock gegen Rechts“-Festival des DGB und einiger anderer Organisationen in Bremen):

„,ICH HABE KEIN RECHTES GEDANKENGUT ENTDECKT.‘ (Martina Stahmann, zuständige DGB-Referentin in Bremen nach Onkelz-Textexegese) – Weil eben Rechts jetzt Mitte ist und die Böhsen Onkelz die Jugendkultur-Protagonisten des neuen politischen Mainstreams dieses Landes sind. Ausgerechnet der Deutsche Gewerkschaftsbund engagiert sich an herausragender Stelle für die politische Rehabilitation der Böhsen Onkelz. In seinem Jugendorgan, das seit Jahrzehnten jenen Namen trägt, unter dem Sat.1 seit zwei Jahren samstags um sechs Bundesligafußball im Fernsehen verkauft, trat im Dezember der berufsmäßige Jugendrevolten-Kaffeesatzleser Klaus Farin an, um die Bremer ,Rock gegen Rechts‘-Aktion zu legitimieren (auf dem Cover dieser Ran-Ausgabe wurde übrigens Mao zum 100. Geburtstag gratuliert). Unter dem Titel ,Auch Böhse Onkelz haben geile Lieder‘ schlägt sich der Pädagoge vorbei an allen traditionslinken Traditionspädagogen auf die Seite der Band mit ,ihrer Streetfighter- und Underdog-Mentalität‘. Und von ausgewiesenen Skin-Forschern und unverdächtigen Gewerkschafterinnen läßt man sich natürlich gerne Persilscheine ausstellen ...“

Das mit dem Kaffeesatz muß Farin böse aufgestoßen sein. Fast ein Jahr (!) nach seinem Erscheinen bespricht Farin im Freitag vom 28. Januar den Nazi-Rock-Reader „Neue Soundtracks für den Volksempfänger“ (ID-Archiv). Mein Beitrag „Dicker Stefan, gutes Kind“ kriegt – surprise, surprise – die ganze Farinsche Härte zu spüren: „So kann die 18seitige Aneinanderreihung von Frankfurter Lokalkolorit und Jugenderinnerungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Walter den Auftrag wohl der Gnade verdanken dürfte, in der Heimatstadt der Böhsen Onkelz zu leben, was ,Nähe‘ suggerieren soll.“

Klar, Farin, nix gegen Retourkutschen. Wen interessieren lokalkolorierte Jugenderinnerungen aus Frankfurt? Braucht kein Mensch, außer – die taz. Denn eben der taz verkaufte Farin seinen neuen Onkelz-Rehab-Text, in dem zwar nicht drinsteht, wie geil er die Musik findet, der aber mit reichlich Lokalkolorit die Geschichte der Onkelz nochmal erzählt: Ihre Entstehung aus der marginalen Frankfurter Punkszene, ihr Hantieren mit rechten Symbolen & Attitudes analog zum englischen Punk bis hin nun zu dem unseligen Punkt, an dem spielerische und gestische Adaption irreversibel umschlägt ins bittere richtige Leben. Daß die Geschichte der Onkelz viel mit Frankfurter Verhältnissen, mit der dominanten Spontilinken zu tun hat – das arbeitet Farin heraus, und dies dürfte auch der Grund sein, warum die taz seinen Text abdruckt, obwohl er doch „die entscheidende Frage – wie ,normal‘ ist eine Band wie die Böhsen Onkelz im heutigen Deutschland? Wie ,steigt‘ man aus rassistischen attitudes ,aus‘? – ganz offensichtlich und nicht einmal besonders elegant umschifft“ (so die etwas kryptisch- magenbittere Halb-Distanzierung im redaktionellen Vorspann).

Die entscheidende Frage stellt, geschweige denn beantwortet Farin in der Tat nicht, aber dieses Lokalkolorit! Smells like Bembelspirit! „Punk zu sein bedeutete im Frankfurt der späten siebziger Jahre zunächst das gleiche wie überall: eine diffus anarchistische Rebellion gegen Kommerz und Staat, Spießer- und Warenwelt: Doch schnell wurde aus Punk New Wave oder Neue Deutsche Welle, die Teenagerrevolte zur Freizeitattitüde. (...) Gleichzeitig entdeckten Teile der linksalternativen Szene den Punk als Jungbrunnen und behaupteten ihre jugend- und subkulturelle Hegemonie, indem sie die neuen Wilden adoptierten. (...) Joschka Fischer räumte in seiner Karl-Marx-Buchhandlung ein Regal für die neuesten Punk-Singles frei.“ (taz, 24.6.)

Nein, Farin, es war nicht „ein Regal“, es war ein ganzer Ständer, und Fischer hat ihn garantiert nicht selber frei- oder aufgeräumt, aber sonst triffst du die Szene ganz gut. Als wärst du dabeigewesen. Deckt sich übrigens mit meinen Jugenderinnerungen aus den „Neuen Soundtracks...“: „Punk in Frankfurt bestand 77/78 zu einem guten Teil aus Hippie-Bashing (...). Mit dem entscheidenden Unterschied, daß Hippies in Frankfurt politischer und dadurch langlebiger waren als in anderen deutschen Städten. (...) Erst Ende der 70er sprach sich in dieser wertkonservativen Szene herum, daß die beste Musik, Mode, Politik, Drogen etc. jetzt bei Punk (zu diesem Zeitpunkt bereits New Wave) zu haben waren. (...) Ausgerechnet in der von Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer mitbetriebenen Karl-Marx-Buchhandlung wurden die ersten Punksingles verkauft (...) Ein Teil der alten Sponti/Hippieszene entdeckte also ein neues, attraktiveres Milieu, absolvierte eine paradigmenwechselnde Wiedergeburt und behauptete auf diese Weise seine subkulturelle Hegemonie.“

Klar, Farin, als alter Prollhead- Punkrocker hast du natürlich ein laxcooles Verhältnis zu Fragen des geistigen Eigentums, da bin ich ganz unten mit dir. Zitier' ruhig weiter unausgewiesen fremde Texte und mach' sie anderswo nieder, das ist schließlich typisch für „Schournalisten“, frag' die armen Onkelz. Die entscheidenden Fragen gehen allerdings an die Redaktion: Warum so ein Text, dessen Defizite auf der Hand liegen? Eine streckenweise (geklaute) korrekte Geschichtsschreibung, aber völlig verfehlte politische Schlußfolgerungen. Was ist mit den nicht explizit rechten Texten? Kein Wort zu den heutigen Inhalten, kein Wort zur Musik. Was ist mit den alten Platten (Tapes)? Sind sie zugänglich? Was ist Onkelzmusik, wenn nicht Lebensertüchtigungs-Soundtrack von Modernisierungs- & Vereinigungs-Verlierer-Männerbündelei? Sub-Bon-Proll-Jovie?

Banale Fragen, die nicht falsch sind, bloß weil sie p.c. sind. Sollte nicht wenigstens der Musikteil eine der letzten taz-Zonen bleiben, die noch einigermaßen frei sind von der längst Mainstream gewordenen Pawlowschen Anti-p.c.-Rhetorik? Klaus Walter