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So höflich und so stolz wie möglich

■ „Zigeunermusik“ ist für die Gäste in Budapester Restaurants reserviert

Ach, wenn ich wüßte, was

noch ist,

Mein Herz, ich glaub', es tut

mir weh,

Solang das Leben an mir frißt,

So lange ich ins Grab nicht geh'.

(Roma-Lied aus Ostungarn)

Gegenüber der Musikakademie am Budapester Franz-Liszt-Platz befindet sich das Restaurant „Blaufränkischer“. Abends klimpert hier ein alter Herr auf dem Klavier alte Schlager. Spät nachts kommt manchmal Pál Szomora, der Sohn des Geschäftsführers. Er holt seine Geige hervor, der Alte begleitet den Jungen. Nun werden keine Schlager mehr gespielt, Pál entlockt seinem Instrument mal wehmütige, mal wirbelnde Melodien. Seine Finger hüpfen so leicht und schnell über die Saiten, daß sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Ein Spiel, meisterhafter und virtuoser als an Musikakademien.

Für Touristen wird das in Budapest als „Zigeunermusik“ annonciert. Manche Roma in Ungarn sagen ironisch „Kaffeehausmusik“ dazu. Vater Szomora lächelt darüber und meint, es sei traditionelle ungarische Musik. Er und seine beiden Söhne sind Mitglieder des berühmten „Hundertköpfigen Zigeunerorchesters“. Es versammelt die Elite der jahrhundertealten Roma-Musiker-Dynastien Ungarns. Über sie sagte Yehudi Menuhin, ihr großer Freund und Bewunderer, einmal: „Nur Zigeuner können diese nostalgische, improvisierte Musik spielen.“

Einst ergötzte sich die feine k.u.k. Gesellschaft daran, denn allein dafür taugten ihnen die Zigeuner – sofern sie nach ihrer Mode gekleidet waren und ihre Sitten nachahmen konnten. Auch heute spielen die muzsikuscigányok, wie sie im Ungarischen genannt werden, zumeist in Restaurants für die Gadshe, die Nicht-Roma, in jener unverwechselbaren Haltung: so höflich und so stolz wie möglich.

Populärer aber ist bei den ungarischen Roma der Stil, den die 1978 gegründete Gruppe „Kalyi Jag“ (Schwarzes Feuer) geprägt hat. Bei dieser melancholischen Musik stehen weniger die Instrumente – Gitarre, Mandoline sowie Wasserkrug oder Holzlöffel für den Rhythmus – im Vordergrund, sondern Gesang und Tanz. Sie sind aus dem Volksliedgut der ungarischen Roma entstanden – und gewissermaßen von unten: in den Dörfern Ostungarns und den Budapester Arbeiterwohnheimen.

In einem dieser Heime wohnte früher der Kalyi-Jag-Gründer Gusztáv Varga, der wie viele Roma in die Metropole gekommen war, um Arbeit zu finden. In seiner Freizeit sammelte er Roma- Volkslieder. Er fand sie in den Dörfern sowie in den Sammlungen der Budapester Musikakademie und brachte sie, wie er sagt, auf das Niveau von Kompositionen. Kalyi Jag erregte Aufsehen, weil sie als erste professionelle Gruppe in Ungarn Lieder in der Roma-Sprache Romanes sang. Doch die Gruppe mußte fast zehn Jahre auf den ersten Plattenvertrag warten. Die Staatsfirma Hungaroton hatte entschieden, daß es solche Musik nie gegeben habe und sie deshalb auch nicht erfolgreich sein könne. Als 1987 dann doch die erste Kalyi- Jag-Platte erschien, wurden in der ersten Woche 15.000 Stück verkauft.

Mittlerweile gibt es vier Platten, und unter den 800.000 Roma in Ungarn gibt es kaum einen Haushalt, in dem ihre Musik fehlt. Ein Dutzend bekanntere Gruppen, die einen ähnlichen Stil wie Kalyi Jag spielen, füllen die Konzertsäle im ganzen Land. Aladár Horváth, Gründer der Gruppe „Romafolk“, meint, daß diese Musik mehr als alle anderen Faktoren zu einem größeren Selbstbewußtsein der ungarischen Roma beigetragen habe. Als die Kommunisten 1988 im ostungarischen Miskolc ein Ghetto für Roma errichten wollten, initiierte Horváth zusammen mit Freunden die erste große Protestbewegung der ungarischen Roma und wurde später Parlamentsabgeordneter. „Damals fühlten wir“, sagt er, „daß dies unsere Musik war, daß in ihr unsere Bitterkeit, der Protest, unsere Kämpfe mit uns selbst lagen – alles, was zur Selbstfindung gehört.“ Keno Verseck, Budapest

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