Jovan Divjak, Bürgergeneral

■ Der Vizekommandeur der bosnischen Armee ist ein Serbe

Sarajevo (taz) – In den Straßencafés der Altstadt von Sarajevo sitzt mensch in der „ersten Reihe“. Hunderte von Passanten schieben sich vorbei und genießen den friedlichen und warmen Abend. Auch Jovan Divjak, der Vizekommandeur der bosnischen Armee, schlendert allein und in der Uniform eines einfachen Soldaten durch das Gewühl. Einen Aktenordner unter dem Arm, begrüßt der stadtbekannte Charmeur die Damen an dem Tisch mit Handkuß und allerlei Artigkeiten. Da ist ein Termin für den nächsten Abend natürlich schnell gemacht.

Die Gemälde an den Wänden im Raum des Kommandeurs stammen von zeitgenössischen Sarajevoer und Mostarer Künstlern. Fünf Portraits von Jovan Divjak sind dabei. Eitelkeit? Divjak lächelt. Wir sollen uns gedulden. Im Fernsehen gibt es gerade Nachrichten. Schreckensbilder aus Travnik sind zu sehen. Eine serbische Granate hat sieben Menschen zerfetzt. Der Militär schluckt. „Welche Tragödie“, murmelt er. „Ich mag den Krieg nicht, aber wir müssen uns verteidigen.“

Es verwundert ein wenig, wie selbstverständich das „wir“ von Divjaks Lippen kommt. Denn der bosnische General ist eigentlich Serbe, in Belgrad geboren und groß geworden. „Sarajevo ist meine Stadt geworden“, erklärt der Mann, der vor über dreißig Jahren in die bosnische Hauptstadt gekommen ist. Und wie um eine aufkommende Rührung abzuwehren, erzählt er den Witz von der Schnecke, die kurzzeitig ihr Haus verläßt und nicht mehr in dieses zurückkehren kann. „Aber da waren schon Flüchtlinge aus Foča drin!“ Die Pointe spielt auf die Praxis von Flüchtlingen an, zeitweise leer stehende Wohnungen in der Stadt zu okkupieren. Es ist nicht zu überhören, der Serbe Divjak gehört zur „Raja“, der Stadtbevölkerung, deren weltoffenes, tolerantes und multikulturelles Wertesystem sich von dem der Landbevölkerung stark unterscheidet.

Dann wechselt der Offizier das Thema. „Die Verteidigung von Sarajevo ist eine militärische Meisterleistung“, sagt er und schmunzelt über seine eigene Unbescheidenheit. „Karadžić und seine Leute wollen die Stadt vernichten, weil sie ihre Bewohner nicht ertragen können.“ Die „Faschisten hätten nicht geglaubt, daß wir so lange widerstehen“, und „auch Europa, die USA und Rußland können es kaum glauben, daß wir in der Lage sind, uns zu verteidigen“. Denn bisher habe die bosnische Armee alle Teilungspläne zunichte gemacht. Und das soll so bleiben: „Wir werden dies trotz des Waffenembargos auch weiterhin tun.“ Über die Karte gebeugt, erklärt Divjak die Erfolge der letzten Zeit. Nicht nur bei Donji Vakuf und Doboj in Zentral- und Nordbosnien hätten die Bosnier beträchtliche Geländegewinne zu verzeichnen. Zudem sei es im Ozrengebirge gelungen, den Weg zwischen Zenica und Tuzla wesentlich zu verkürzen. Im Majevicagebirge und am Vlasić seien Kommunikationssysteme der Karadžić-Truppen ausgeschaltet worden. Und bei Teslić würden die gegnerischen Truppen zurückgedrängt. „Es könnte alles schneller gehen. Ihnen hilft nur ihre waffentechnische Überlegenheit. Unsere Soldaten haben ja nicht einmal Stahlhelme.“

Problematisch bleibe dagegen die Versorgung mit Waffen. Die Gerüchte, der Iran sei auf diesem Feld aktiv, seien wissentlich von den Kriegsgegnern gestreut. „Wie sollen denn die Iraner trotz der UNO-Lufthoheit und der gegnerischen Truppen um uns herum die Waffen hier hereinbekommen?“ fragt er in die zweifelnde Runde. „Es ist allerdings bekannt, daß wir selbst Munition zu produzieren in der Lage sind.“ Auch bei dem Stichwort Brčko und der Absicht der bosnischen Armee, den serbischen Korridor, der Belgrad mit Banja Luka verbindet, zu erobern, zuckt er mit den Achseln. „Sie scheinen ja einen Kurs in Militärfragen absolviert zu haben.“ Militärische Geheimnisse will er selbstverständlich nicht preisgeben.

Kein Geheimnis ist jedoch, daß die bosnische Armee grundsätzlich die Wiedereroberung Bosnien- Herzegowinas ins Kalkül gezogen hat. Divjak wiegt den Kopf. „Besser wäre eine Verhandlungslösung. Aber Aggressoren muß man eben zu echten Verhandlungen zwingen.“ Er persönlich habe da seine Erfahrungen. Die andere Seite habe ihn als Mitglied der Verhandlungsdelegation der bosnischen Armee abgelehnt. „Erst wenn ich zum Islam übergetreten bin, wollen sie wieder mit mir sprechen“, lacht er. Und verabschiedet sich artig, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß man sich ja bei der Tagung der „Helsinki Citizens Assembly“ am Wochenende wiedertreffen könne. Dort gehe es um weit mehr als den Krieg: um einen echten Frieden und die Entwicklug der Demokratie in einem geeinten und freien Bosnien-Herzegowina. Erich Rathfelder