■ Ökolumne: Die verschobene Revolution Von Gerd Rosenkranz
Wir lieben sie doch alle, unsere Sonne. Der Sympathieträger Solarenergie scheint vom grassierenden Rückzug aus der Öko-Ecke unberührt. In Zeiten verschärfter Profilierungs- und Abgrenzungsrituale registrieren wir verblüfft eine große Koalition aller politischen Parteien. Nach dem 16. Oktober, so verkünden es die Wahlkämpfer jeder Couleur, herrscht eitel Sonnenschein für die Solarpioniere, die so lange auf ihre Chance warten mußten. Allenthalben wird umgebaut und umgesteuert, ökologisch erneuert und Effizienz gesteigert, wenn die Sprache auf die steigende Fieberkurve der Erde kommt. Der große „Energiekonsens“ – bei Sonne, Wind und Wasser scheint er Realität. Kontrovers nur noch die Frage, welches Tempo die Energiewende in Zeiten schwächlicher Konjunktur „der Wirtschaft“ zumuten darf.
Doch der Schein trügt. Aktivität wird vorgegaukelt, beifallheischend, für die Kulisse. Unter den Politniks hat sich herumgesprochen, daß mit flammenden Plädoyers für die Atomkraft Wahlen immer noch nicht zu gewinnen sind, möglicherweise aber mit solchen für die Sonnenenergie. Die Taten? Seit 1992 streicht das Bundesforschungsministerium den Posten erneuerbare Energiequellen kraftvoll zusammen. Das 1.000-Dächer-Photovoltaik-Programm läuft aus. Ersatzlos. Der Wirtschaftsminister für Besserverdienende steuert in diesem Jahr 10 Millionen Mark bei. Für alle Regenerativen zusammen. Und scheut sich nicht, von „Markteinführungshilfe“ zu faseln. Tausendmal mehr (gut 10 Milliarden) kostet die Stromverbraucher im selben Jahr der Klimakiller Steinkohle. Um des lieben Friedens willen ließ sich Rudolf Scharping die Forderung nach einem 100.000-Dächer-Programm ins Wahlprogramm redigieren – um es umgehend unter einen „Finanzierungsvorbehalt“ zu stellen. Das heißt: Es wird nicht kommen, auch nicht bei 51 Prozent für die SPD.
Wenn eine Gemeinde die Strompreise zugunsten der Photovoltaik um ein (!) Prozent erhöhen will, dann formiert sich im Handumdrehen eine Phalanx von Bedenkenträgern. Stromversorger stöhnen auf, Wirtschaftsbosse drohen gewohnheitsmäßig mit ihrem Exodus, Politiker bangen um den Wirtschaftsstandort. Die Furcht muß ungeheuer sein. So als würde den Kathedralen der Stromwirtschaft mit zehn Quadratmetern Solarzellen auf ein paar tausend Einfamilienhäusern das Totenglöckchen läuten. Eine ganze „Analyse“ widmet die Atomwirtschaft der Sorge, die Solarwirtschaft werde zu schnell eingeführt. Die Warnung gilt einer Technologie, die Jahrzehnte nach ihrer Geburt soviel zur Stromversorgung beiträgt, wie ein AKW der Biblis-Klasse in einer knappen Stunde.
Auch die Sonnenanbeter sind nicht ohne Fehl: Manche tun so, als müsse man nur einen Kippschalter umlegen und schon tickt das Energiesystem andersherum. Sie neigen zur „Schönrechnerei“. Mit ein paar kosmetischen Änderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist Photovoltaik eben noch nicht konkurrenzfähig. So etwas ist gut gemeint – und kontraproduktiv. Die Energierevolution bedeutet einen Einschnitt in alle Lebensbereiche. Sie wäre allenfalls vergleichbar mit den Folgen der Erfindung der Dampfmaschine und der ersten industriellen Revolution. Doch während diese den Grundstein legte für die Massengesellschaft, geht es nun um ihr Überleben. Nein, um viel mehr: Es geht um menschenwürdiges Überleben, nicht nur hier.
Die Dimension der bevorstehenden Umwälzung haben selbst die meisten ihrer Verfechter noch nicht verstanden. Anders läßt sich das alberne Gerangel zwischen den Apologeten von Sonne und Wind, Photovoltaik und Solarthermie nicht deuten. Wir brauchen alles. Wenn heute ein Solarkocher der Öffentlichkeit vorgestellt wird, heben zehn Bastler die Hände und weisen nach, warum das Konzept Schwachsinn und ihr eigenes prima ist. Der Kleinmut ist allgegenwärtig.
Solange die Pioniere sich um die Krumen rangeln, die vom Tisch der Energiemächte herunterfallen, statt lautstark ihre gemeinsamen Ansprüche anzumelden, so lange bleibt die Sonnenenergie-Revolution eine verschobene Revolution. Kommen wird sie trotzdem. Weil es eine Alternative nicht gibt. Aber unsere Kinder werden für unsere Zögerlichkeit zahlen.
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