Polizist erschießt jungen Kurden

■ Schuß löste sich angeblich versehentlich, als 16jähriger Plakatkleber festgenommen werden sollte

Hannover (taz) – Ein hannoverscher Zivilpolizist hat am Donnerstag abend einen 16jährigen kurdischen Jugendlichen erschossen, der Plakate geklebt hatte. Der Polizeiobermeister traf aus einer Entfernung von drei bis vier Metern unterhalb des Schulterblatts den Rücken des Jugendlichen, der sich aus einem Polizeigriff befreit hatte und weglaufen wollte. Polizeipräsident Herbert Sander bestand während einer Pressekonferenz gestern darauf, der Kurde sei versehentlich getötet worden: „Wir müssen davon ausgehen, daß es sich nicht um eine absichtliche Schußabgabe handelt.“ Der Schuß sei wohl durch einen „Greifreflex“ ausgelöst worden. „Schon in der Ausbildung lernen die Polizisten, nur dann den Finger an den Abzug einer Waffe zu legen, wenn sie auch konkret schießen wollen“, sagte Sander. Der 28jährige Polizeiobermeister gelte als erfahrener Beamter.

Sander und der Leiter der hannoverschen Mordkommission, Thomas Rochell, machten sich gestern auf einer Pressekonferenz nahezu vollständig die Darstellung des Schützen zu eigen. Demnach haben gegen 23.40 Uhr zwei zivile Streifenpolizisten drei oder vier Jugendliche entdeckt, die in der Stadtmitte Hannovers Plakate mit dem Stern-Symbol des ERNK, der Befreiungsbewegung Kurdistans, klebten. Nachdem die Beamten sich ausgewiesen hatten, flüchten die Jugendlichen sofort in verschiedene Richtungen. Der 16jährige Ayhan E. wurde schon nach 20 Metern von dem Polizeiobermeister eingeholt und auf den Boden geworfen. Der auf dem Jugendlichen kniende Beamte habe dann in der Nähe eine Waffe liegen sehen, diese zunächst ein Stück zur Seite geschoben und erst dann bemerkt, daß es sich um seinen eigenen Revolver handelte. Als der Beamte die Waffe aufheben wollte, konnte sich der Jugendliche befreien. Bei dem Versuch, den Trommelrevolver wieder ins Holster zu stecken, „ist der Beamten gestrauchelt, und dabei hat sich der Schuß gelöst“, sagte der Chef der Mordkommission.

Ayhan E. starb kurze Zeit später an inneren Blutungen. Er war erst im Mai in die Bundesrepublik eingereist und hatte Asyl beantragt. Für die Ereignisse gibt es neben den beiden Polizeibeamten weitere Zeugen. Einige von ihnen, so sagte Thomas Rochell gestern, hätten von einem Straucheln des Polizisten nichts bemerkt, sondern von einem Schuß beim Aufstehen gesprochen.

Gegen den Schützen, der sich wegen eines Schocks in ärztlicher Behandlung befindet, wird jetzt nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wegen „fahrlässiger, möglicherweise auch wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt“. Bündnis 90/ Grüne warfen der Bundesregierung vor, durch das Verbot kurdischer Verbände die politische Verantwortung für den Tod des Jungen zu tragen. Jürgen Voges