Prügel-Polizei: „Verdacht der Kontinuität“

■ Anti-Haider-Demo: Staatsanwaltschaft zieht Ermittlungen an sich / amnesty international schaltet sich ein / Weitere Polizeiopfer wollen Strafantrag stellen Von Kai von Appen

Die Staatsanwaltschaft am Hanseatischen Oberlandesgericht hat die Federführung bei den Ermittlungen gegen Polizisten wegen der Übergriffe auf Anti-Haider-Demonstranten vor einem Monat übernommen. Die Polizeidienststelle zur Ermittlungen von Beamtendelikten „PS 3“ wird nur noch in Einzelfällen in „Amtshilfe“ tätig. Unterdessen haben sich jetzt weitere Opfer der Polizeiattacken vom 30. Mai entschlossen, Strafantrag zu stellen.

Wie berichtet, waren während einer Kundgebung des Österreichers Jörg Haider auf dem Gänsemarkt Zivileinheiten der Polizei außer Rand und Band geraten, als ProtestlerInnen den rechten FPÖ-Politiker mit Eiern bewarfen. Mehrere Menschen wurden von Beamten verletzt, der ARD-Fernsehjournalist Oliver Neß schwer mißhandelt. Justizsenator Klaus Hardraht hat nun angeordnet, daß seine Behörde direkt die Aufklärung der Vorfälle leitet. „Es handelt sich um einen spektakulären Fall, der in den Medien sehr viel Aufsehen erregt hat“, begründet der Sprecher der Staatsanwaltschaft Rüdiger Bagger den ungewöhnlichen Schritt. Ein derartige Vorgehen ist nämlich sonst nur bei brisanten Ermittlungskomplexen von „besonderer Bedeutung“ (Bagger) wie Organisierter Kriminalität üblich. Ermittlungstaatsanwalt Joachim Dreyer wurde angewiesen, Generalstaatsanwalt Arno Weinert wöchentlich über den Ermittlungsstand Bericht zu erstatten. Bagger: „Es ist keine gute Sache, wenn Polizeibeamte gegen Polizeibeamte ermitteln, sondern besser, wenn das direkt ein Staatsanwalt tut.“

Offensichtlich möchte die Anklagebehörde sich nicht wieder dem Vorwurf aussetzen, – wie in Verfahren gegen Polizisten des Reviers 16 geschehen – daß sie Übergriffe von Polizisten decke. Denn mittlerweile hat auch amnesty international Recherchen aufgenommen. Michael C. Butler vom „Research Department Europe“ in London: „Wir greifen nicht jeden Fall auf, nur wenn wir denken, es ist ein Muster. Und hier gibt es den Hintergrund mit der E-Schicht, so daß nach diesem neuen Fall von Mißhandlungen durch die Hamburger Polizei der Verdacht der Kontinuität aufkommt.“

Unterdessen werden weitere Opfer der Polizeirandale in den kommenden Tagen Strafantrag wegen Körperverletzung stellen. So der 32jähriger Erzieher Holger T. Er stand links neben der Bühne, als an den Sperrgittern zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei begannen. „Ich wußte nicht, was los war, als es auch in der Mitte des Gänsemarktes plötzlich zu Rangeleien kam. Polizisten konnte ich nicht sehen. Ich wollte daher nur weg und mich raushalten - wegen meines Examens.“ Doch plötzlich hätten „furchterregende Typen“ vor ihm gestanden. Holger T.: „So sechs Leute mit komischen Dingern in der Hand. Ich hatte panische Angst. Ich bin davon ausgegangen, daß das Nazis sind.“ Er habe wegrennen wollen. T.: „Ich hab mich durch die Menge durchgekämpft, doch ich wurde niedergerissen. Ich habe laut gerufen: Hilfe, Polizei!“ Daraufhin sei er in die Seite und gegen den Oberkörper getreten worden. Erst als er abgeführt wurde, hätten sich die mutmaßlichen Haider-Schläger als Polizisten zu erkennen gegeben. Bilanz laut Uni-Klinik Eppendorf: Zwei gebrochene Rippen, ein großer blauer Fleck an der Schulter.

Zufälllig geriet auch Taxifahrer René Karl in die Randale, nach dem er bei „Essen & Trinken“ Mittagspause gemacht hatte. Vom Trubel angelockt, stand er vor der Tribüne. „Weil es eskalierte, bin ich zurückgegangen,“ so der 39jährige Familienvater. Wie aus heiteren Himmel hätten plötzlich „Typen mit Tränengasgeräten oder Bullenschockern“ (Elektroschocker) in der Hand vor ihm gestanden. Auf einmal sei er von einem CS-Gas-Strahl getroffen worden. Karl: „Ich wollte zurück, das ging aber nicht. Ich bin dann kurz nach vorn und hab dem Typ in den Hintern getreten.“ Kurz darauf sei er von mehreren Männern gepackt worden, habe sich zwar noch losreißen können, sei aber nach wenige Meter weiter zu Boden gerissen worden. „Ich habe sofort eine Embryohaltung eingenommen, als sie mich mit Fäusten und Tritten traktierten.“ Anschließend wurden dem breitschultrigen Taxifahrer die Arme auf den Rücken gepreßt und Handschellen angelegt. Erst beim Abführen hätten sich die „Nazisschläger“ als Polizisten offenbart, mit den Worten: „Du schlägst keinen Kollegenm mehr.“ Die Folgen der Begegnung: Zwei blaue Augen. Nierenprellungen, verrenkte Arme. Die Nerven seines rechten Handgelenks wurden so gequetscht, daß der Daumen immer noch taub ist.

Auch Schüler Jan L. geriet in die Klauen der Polizei. Er hatte mit Mitschülern in einer Freistunde das Spektakel verfolgt. Jan: „Wir sind nicht aufgefallen, haben auch nichts gemacht.“ 20 Minuten nach der Kundgebung sei er plötzlich von mehreren Polizisten umstellt und von einem Zivilfahnder „angetippt“ worden. „Du hast mir vorhin in die Eier getreten“, habe der große stämmige „Zivi“ dem schmächtigen 1,65 Meter großen Schüler vorgeworfen. Dann habe man ihn durchsucht. Als die Beamten bei ihm ein Reizsprühgerät fanden (Jan: „Das hab ich immer zur Selbstverteidigung bei mir“) setzte ein zweiter Zivilfahnder noch eins drauf: „Ich habe gesehen, wie Du einem Kollegen voll ins Gesicht gesprüht hast!“ Dann wurde der Junge abgeführt, erkennungsdienstlich behandelt und durch den Staatsschutz vernommen. Jan: „Ich habe zehn Zeugen, daß ich nichts gemacht habe.“ Gegen ihn und die anderen Polizeiopfer sind von den Beamten Strafanzeigen wegen Körperverletzung, Gefangenenbefreiuung, Widerstand und Landfriedensbruch gestellt worden.

Jans Vater ist über die Kriminalisierunmg seines Sohnes empört: „Wenn er wirklich etwas auf dem Kerbholz gehabt hätte, dann hätte er sich doch nicht noch so viel Zeit auf dem Gänsemarkt aufgehalten, dann gibt man doch Fersengeld.“ Und auch Jans LehrerInnen von der Jahn-Gesamtschule sind von seiner Unschuld überzeugt, sie attestieren dem Schüler sogar ein „positives Sozialverhalten.“ „Wir wollen erreichen, daß die uns anvertrauten Kinder und Jugendliche kritische und mündige Bürgerinnen und Bürger werden, die ihre demokratischen Rechte kennen und nutzen, um ausländerfeindlicher und rassistischer Propaganda entgegenzutreten, und daß sie sich an die demokratischen Regeln halten“, so das Kollegium in einem Brief an Innenenstaor Werner Hackmnann. „Dieser demokratische Erziehungsauftrag wurde durch das Auftreten einiger Polizeibeamter erschwert, da sie sich offenbar nicht an demokratische Regeln gehalten haben.“