Lots Töchter brechen Tabu

■ Evangelische Frauenkirche lud zur Diskussion über sexuellen Mißbrauch in der Kirche

„Gott ist mein Vater, und mein Vater war ein bißchen Gott. Er las uns am Abend aus der Bibel vor, tröstete uns, wenn etwas Schlimmes passiert war.“ Die Erinnerungen der Pfarrerstochter an den Vater sind nach wie vor lebendig. War das derselbe Mann, der sie eine Kindheit lang gequält und gedemütigt hatte, indem er sie sexuell mißbrauchte?

Noch Jahre später würde sie mit dieser Frage kämpfen müssen, nach Antworten suchen, befangen im Glauben an eine Kirche, die ihr, statt Hilfe zu bieten, das Bollwerk patriarchal gestählter Tradition entgegenstellt: Dumpf dröhnt das christliche Leidensideal, die Vergebungspflicht, das Primat der heilen heiligen Familie, das Gottesbild vom allmächtigen Herrn und liebenden Vater, und demgegenüber Eva, Ursprung des Bösen, durch die Verführung Adams verantwortlich für die Sünde in der Welt.

Jenny Schneider van Egten, Pfarrerswitwe aus Holland, betreut seit Jahren „Überlebende des sexuellen Mißbrauchs“, die im christlich gezirkelten Teufelskreis ewiger Selbstbeschuldigung verdammt zu sein scheinen. Sie arbeitet mit Töchtern von Pastoren und Pfarrern, mit KlosterschülerInnen, mit Gemeindeschwestern, mit Frauen, die in den Konventionen glaubensbeseelter Vorzeigefamilien „zum Schweigen verurteilt wurden, was nicht verschwiegen werden darf.“ Sie alle kennen, erlebten am eigenen Leibe die biblische Geschichte von Lot, der seine Töchter, - „die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben an euch“ (Das erste Buch Moses, 18/19) -, zuerst an Fremde verschacherte und schließlich selbst sexuell mißbrauchte. „Die Fragen der Überlebenden“, gesteht Jenny Schneider van Egten, „haben kräftig an meinem Menschen- und Gottesbild gerüttelt.“

Vor 15 Jahren erzählte ihr ein Mädchen aus der Gemeinde „eine Geschichte über ihren Vater, die ich zuerst nicht glauben konnte.“ Jenny van Egten kannte den hoch angesehenen Mann persönlich, sie sang mit ihm im Kirchenchor. Sie sprach mit dem Vater des Mädchens, der angab, doch nur lieb zu seiner Tochter gewesen zu sein, zukünftig aber jede Annäherung zu unterlassen. Jenny van Egten glaubte ihm, mußte aber Jahre später erfahren, daß er die Tochter weitere 5 Jahre sexuell mißbraucht hatte, ohne daß irgendjemand etwas davon bemerkt hätte. Von nun an wußte Jenny van Egten, daß ein Gespräch mit der Familie, daß Glaube und Hoffen nicht ausreichen. Nach und nach baute sie ein Netzwerk von Vertrauensleuten auf, aus dem heraus sich 1985 der mittlerweile in ganz Holland aktive Arbeitskreis „Religion und Inzest“ bildete. Er bietet den Überlebenden des sexuellen Mißbrauchs ein Forum innerhalb der Kirche: „Viele fühlen sich hier zum ersten Mal ernstgenommen.“ Doch die Öffentlichkeit reagiert nur zögernd auf den sogenannten Kirchenskandal, die gläubige Gemeinde weigert sich zu glauben, die Spitze ihrer Hierarchie bestreitet die Vorwürfe vehement. Kein Wunder, die Allmacht der Männer steht auf dem Spiel.

Ein Selbstverständnis, von dem auch die Basis durchsetzt scheint, jedenfalls der männliche Part: „Wollen Sie mich etwa hier nicht haben, soll ich vielleicht gehen?“ Der Besucher der am Freitagabend vom Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Kooperation mit dem Landesjugendpfarramt initiierten Veranstaltung „Lots Töchter“ reagiert empfindlich getroffen auf den Vorschlag der Referentin Jenny van Egten, das Publikum nach dem Vortrag in eine Männer- und Frauengruppe aufzuteilen. Daß Frauen Männer einfach rausschicken, das gab es hier im Sprengel noch nie. Schließlich sind vor Gott doch alle gleich, oder?

Eben nicht, bewies die anschließende Diskussion, bei der die Frauen jenseits der Männer über Problemstrukturen und Lösungsmöglichkeiten nachdenken konnten, von der 67-jährigen Holländerin ermutigt, „frauenparteiliche Standpunkte zu beziehen“. Deutlich wurde, daß die herkömmliche Seelsorge, von der Bibelexegese bis zur Stellenbesetzungsfrage kodiert mit männlichen Vorzeichen, keinerlei Unterstützung bietet. „Der sexuelle Mißbrauch ist ein Strukturproblem innerhalb unserer Gesellschaft und unserer Religion“, mahnte die feministische Theologin aus Holland. Ihr Rat: „Bildet Frauenpastorate!“ dah