Dokumentation
: Geschichte verleugnet

■ Hans-Ernst Böttcher verläßt die SPD aus

Hans-Ernst Böttcher ist Präsident des Landegerichts in Lübeck. Er kommt aus Bremen, war in Bremen von 1974 bis 1991 Richter und von 1979 bis 1993 auch Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofes. Böttcher arbeitete von 1980 bis 1983 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht. Seine dort gesammelten Erfahrungen brachte der SPD-Jurist in die Vorbereitung der Verfassungsgerichtsklage ein, mit die Anerkennung der finanziellen Notlage erreicht wurde. Dies war die Voraussetzung für die 9 Milliarden Sanierungsprogramm.

Die taz dokumentiert in Auszügen Böttchers „Erklärung zu meinem Austritt aus der SPD“

Zum 1.Juli 1994 verlasse ich nach mehr als 21 Jahren aktiver Mitgliedschaft die SPD. Das auslösende Ergeignis liegt ein Jahr zurück: Die Ablösung unseres „generösen“ (Carlo Schmidt) Asylrechts durch das bekannte Asylbewerber-Abschreckungsrecht mit den für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlichen Stimmen von SPD-Abgeordneten im Bundestag und von SPD-geführten Ländern im Bundesrat. Ich hatte für diesen Fall den Austritt beschlossen, den Zeitpunkt habe ich – aus jeweils kurzfristigen, für die SPD wichtigen Gründen (Bürgemeisterwahl in Lübeck, Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, Europawahl) – zunächst aufgeschoben.

ich trete aus der SPD aus, weil sie aus Gründen vermeintlicher tagespolitischer Opportunität (um nicht zu sagen: aus politischen Opportunismus) einen Teil der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt hat und damit ein konstituierendes Element ihrer eigenen Geschichte verleugnet. Dies zu einem Zeitpunkt – schon nach den Anschlägen von Mölln und Solingen – an dem es der Partei der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit (Schwesterlichkeit), der Gerechtigkeit und des Internationalismus gut angestanden hätte, ein glaubhaftes Zeichen für Menschlichkeit und Solidarität und gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen.

Vor dem 1.Juli 1993 – wie auch danach – hat mir die SPD genügend Anlässe zur Kritik und zu grundsätzlichem Zweifel gegeben. Die Entscheidung zum Asylrecht war der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Ich bleibe vielen Menschen guten Willens in der SPD verbunden. Mit meinem Fachwissen und meiner beruflichen und politischen Erfahrung stehe ich auch der Partei nach wie vor zur Verfügung – wenn sie es wünscht.

Ich werde zunächst nicht die Mitgliedschaft in einer anderen Partei suchen. Das schließt, wie bei der SPD, eine Zusammenarbeit nicht aus. In der Partei Bündnis 90/Die Grünen könnte ich eine politische Kraft sehen, die in einer Koalition die SPD wieder zu sich selbst bringt.

Ich bin froh, daß ich in der Gewerkschaft ötv und damit im DGB nach wie vor eine politische Heimat habe. Hans-Ernst Böttcher