Sanssouci: Nachschlag
■ Abschied im Unart
Frau Spitta Foto: Marcus Lieberenz
Es gibt verdammt gute Möglichkeiten, einen lauen Sommerabend zu gestalten. Man könnte sich mit einem lieben Menschen einen stillen Ort aufsuchen und sich unter dem blauen Himmel den Obsessionen hingeben. Man könnte an einem See mit Tilsiter und Wein dem Zirpen der Grillen lauschen. Statt dessen geht es ins „Unart“. Und dort stellt man überraschend fest, daß auch Molly Spitta und Holger Brüns sich verabschieden. Etwa drei Dutzend kleine Abschiedssequenzen aus Theaterstücken, Romanen und Filmen haben die beiden Theatermenschen unter dem Shakespearschen Zitat „Hin auf immer“ zusammengefaßt. Eine hübsche Idee. Wild wirbeln die Darsteller mit ihren wasserstoffgefärbten Haaren in schwarzem und rotem Fummel über die Bühne, morden, hopsen, kreischen und blödeln, was das Zeug hält. Gerade haben wir erkannt, daß es sich um eine Szene aus „Dr. Schiwago“ handelt, da rezitiert Herr Brüns auch schon aus Ringelnatz, um gleich zu „Carmen“ überzuleiten. Tempo, Tempo, Tempo, lautet die Maxime. Die kleinen Seufzer, der große Herzschmerz und die Krokodilstränen, die wahren Gefühlsregungen des Abschieds also, bleiben an diesem Abend aus. Nun muß man sich fragen, ob Frau Spitta und Herr Brüns das überhaupt wollten. Soll dieses Potpourri komisch sein? Natürlich sind die Grimassen mitunter ganz drollig, aber: Das Paar ist Opfer der eigenen Idee. Bloße Bühnenpräsenz und der Wille zur Kunst reichen nicht aus, mit Vielfalt und Tempo Schritt zu halten. Der Hang zum Klamauk wird zur Unart, verschwimmt zu einer sabberseichten Einheitssoße, die auch die netten Zitate nicht wettmachen können. Ob in der „Diva-Szene“, dem „Casablanca“-Getue („Spring mir in die Arme, Kleines“) oder „Das Leben des Brian“. Immerhin: Mit dem Abklatsch auf die Monty-Python-Produktion werden zur Freude einiger Gäste Erfrischungen, Brot und Blut, gereicht.
Frau Spitta sagt einmal, daß sie sich ein Taschentuch wünscht. Gern hätten wir ihr das Tempo(-Tuch) in die Hand gedrückt, das man uns zum Programmheft gereicht hatte. Denn das Stimmungsbarometer stieg ungleich weniger als die Außentemperaturen. Augen und Nase blieben im Unart trocken. Allenfalls unter blauem Abendhimmel hätten wir die Tücher gezückt. Tomas Niederberghaus
Unart, Oranienstraße 163, Di., Fr.–So. 21.30 Uhr, bis 12. Juli.
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