Beruf Experte

Wer darf heute wie über Böhse Onkelz wie reden? Die Pop-Intelligentia, Kaffesatz-Leser, Anteilseigner am Meinungsmarkt? Hier die Replik auf eine Replik von Klaus Walter  ■ Von Thomas Groß

Am 24. Juni erschien auf den Kulturseiten der taz Klaus Farins Text „Heute hier, morgen dort“, in dem der Autor versuchte, die frühere Rassisten-Band Böhse Onkelz als im Grunde demokratische, jedenfalls mittlerweile stinknormale Rockkapelle zu rehabilitieren. Am vergangenen Samstag antwortete Klaus Walter, selbst Autor in Sachen Böhse Onkelz, mit einer Gegenrede, die Farin eine „bewundernde Sehnsucht nach dem unverbildeten Prollhool“ bescheinigte und der Redaktion den fahrlässigen Abdruck „politisch völlig verfehlter Schlußfolgerungen“. Der nachfolgende Text stammt von einem Redaktionsmitglied.

Und es ist doch ein Expertenstreit! Nur Experten sind so profund empört, wie Klaus Walter das in seiner Replik auf Klaus Farins Verteidigung der Wölfe ist. Und nur Experten trumpfen, einmal heißgelaufen, so schön mit Spezialwissen auf: Bloß ein Regal soll es gewesen sein, das Joschka Fischer damals in seiner Karl-Marx-Buchhandlung leergeräumt hat, um den Punk von Bands wie den Böhsen Onkelz zu einer Geschmacksfacette im linksalternativ dominierten Multikulti- Frankfurt zurechtzuschmusen? I wo, Walter weiß es besser: „es war ein ganzer Ständer“!

Experten are doin'it for themselves, und sowieso nur Experten geben das in dieser eigentümlichen Mischung aus Rekonstruktion und Retourkutsche auch noch zu: Da hat der eine Klaus den anderen mal einen „berufsmäßigen Jugendrevolten-Kaffeesatzleser“ genannt, woraufhin dieser das Buch über Rechtsrock, an dem der erstere mit einem Aufsatz über just jene Böhsen Onkelz beteiligt war, in einer Rezension in Grund und Boden gestampft hat.

Jetzt also wieder Aufschlag Walter, und der kann nun im Grunde schon expertenehrencodexmäßig nicht mehr anders, als Farin ein „laxcooles Verhältnis zu Fragen des geistigen Eigentums“ nachzusagen: Die ganzen wunderbaren Passagen über die Genese der Böhsen Onkelz aus einer dumpfen Totalverweigerung gegenüber dem superintegrativen Frankfurter Linkshippietum à la Fischer oder Cohn-Bendit soll er abgeschrieben haben. Mal abgesehen davon, daß Walter in der Sache nicht ganz unrecht hat, zeigt das zusammengenommen vor allem „die ganz normale Scheiße, wie sie läuft“ (um es mit einem schon legendären Sample Jörg Schröders zu sagen).

Intellektuelle sind eben nicht nur ideale Teilnehmer an gemeinnützigen diskursiven Klärungsprozessen, sie sind immer auch recht eigennützige Konkurrenten um Anteile und Zugriffe auf dem Meinungsmarkt – was sich übrigens in schöner Deutlichkeit gerade auch an dem Sammelband „Neue Soundtracks für den Volksempfänger“ nachweisen ließe, an dem Walter mitgestrickt hat, und den er so plakativ ins Feld führt. Nur soviel: Der Band, der im Juni 93 die erste gebündelte Reaktion der Pop-Intelligenz auf die Bedrohung durch Rechts-Rock darstellte, war nicht nur dem allgemeinen Frühneunziger-Realitätsschock geschuldet, er war zugleich auch ein Übungsfeld der symbolischen (Wieder-)Ertüchtigung für alte und neue Subkulturinterpreten. „Bislang ist der deutsche Nazi- Rock stets nur als singuläres Phänomen diskutiert worden“, heißt etwas gestelzt der erste Satz des Vorworts, und genau in diesem Sinne mühten sich die Autoren (bis auf Old Cowgirl Clara Drechsler alles Männer) leicht schwitzend an der Herstellung von „Kontexten“. Sympathisch und richtig war das da, wo notwendigerweise unfertige Texte sich als notwendig unfertige ausstellten oder die Frage, ob Rock links codiert sein muß (muß er nämlich nicht), mit genügend historischem Material angereichert wurde – wie zum Beispiel im Falle des Diederichsen- Klassikers „The Kids Are (Not) Alright“ oder in dem Beitrag von Gerald Hündgen, der am 12. Juni in der taz vorabgedruckt war. Weniger gut gefiel mir schon damals die Tendenz, rasch zu vorzeigbaren Feinden zu kommen oder im Prinzip richtige Teilergebnisse mit etwas Empörung aufzublasen, so daß mit einem Mal alles hübsch einfach aussehen konnte: Schuld waren dann der Kapitalismus als solcher, die ökolibertäre Altlinke, insbesondere aber Der Spiegel. – Gerade die Fixierung auf den Spiegel als mit allen Insignien der Potenz ausgestattetes Überblatt der öffentlichen Meinung schien mir einen insgeheim drängenden Anspruch auf Opinion Leadership zu verraten, eine Form des subkulturellen Augsteinismus sozusagen. Nicht selten habe ich mich beim Verfolgen der neolinken Dissidenz- und Rechtsruck-Diskussionen gefragt, ob nicht manches davon – quasi ex negativo – auf sehr sublime Weise dem allerorts blühenden Genre „Nachdenken über Deutschland“ zuzurechnen wäre. Sicher ist für Walter immerhin, daß der Abdruck von Texten, die ein Jahr nach der großen Onkelz-Debatte einsetzen und auf nicht uninteressante Weise ambivalent sind, gleich „entscheidende Fragen“ an die Redaktion der taz provozieren. Which side are you on? „Warum so ein Text, dessen Defizite auf der Hand liegen?“

Walter findet das nicht nur anti-p.c., er schwingt auch ohne mit der Wimper zu zucken die Auschwitzkeule gegen Farin (und die, die er für Bundesgenossen hält): „Sag mir, wie können wir uns über Auschwitz unterhalten, wenn keiner von uns dabei war? Können wir uns ausnahmslos auf Berichte anderer Medien berufen?“ Schwere Geschütze, die man gar nicht richtig kapiert, schon gar nicht, wenn man den Anlaß dazu noch einmal nachliest. Farin hat sich ja bloß ein wenig über Journalisten-Kollegen lustig gemacht, die sich ihr Böhse-Onkelz-Genrebild Second Hand erschrieben haben. Und das ist doch auch ein Ding! Das darf man doch gar nicht erzählen, und deshalb muß man es erzählen (noch so ein Schröder- Sample). Abgesehen davon, daß auch hier wieder der Problemkreis „Expertentum und seine Folgen“ gestreift wird, glaube ich Farin in diesem Punkt sofort. Zu Hochzeiten der Nazipunk-Mediennachfrage gab es täglich mindestens einen Anruf in der taz-Redaktion, oft von Provinzzeitungen, die sich auf die Schnelle einen Onkelz-Artikel organisieren wollten (höchstens noch Störkraft durfte es ersatzweise sein). Wenn man bedenkt, daß all diese oft blühend ausgestalteten Reportageerzählungen, die dann auf irgendwelchen Wegen zum Druck gelangten, möglicherweise auf einzwei Urtexte zurückgehen, aber alle ganz doll mit authentischem Nazi-Thrill dealten, wird einem doch irgendwie schwindlig.

Der Furor des Farin-Bashings ist mir suspekt – auch wenn, das will ich gar nicht bestreiten, sein Text letztlich selber zum Genre der emphatischen Rockerzählung gehört. Nachdem Farin die Phantasieblase der anderen angepiekst und seine Pflicht als Jugendforscher qua Expertise der Onkelz- Entwicklung abgeliefert hat, folgt ein etwas verdruckstes Loblied auf die „Unintegrierbarkeit“ dieser mittlerweile langhaarigen Ex- Skins: Bis heute hätten sie der „Versuchung“ „widerstanden“, sich als „brave Linke vorführen zu lassen (was sie auch nicht sind)“.

Die Melodie ist tatsächlich bekannt, und daß Farin etwas an diesen Jungs „geil“ findet, ist so wenig zu übersehen, daß es eigentlich keiner weiteren Erwähnung bedarf. Das Bonengel-Syndrom: Eine seltsame Art von Erotik ist da im Spiel, die den Produzenten mit seinem Gegenstand verbandelt. Beruf Neonazi, Beruf Experte sozusagen, beides in wirrer Korrelation: Mal stellt Farin die Optik ganz scharf, dann hat seine Sichtweise wieder gehörige Flecken, und man hat nicht den Eindruck, daß er wirklich weiß, was sein rechtes Knie denkt.

So kommt's dann auch – und das ist ja nun zur Genüge konstatiert worden –, daß Farin sich vom Objekt seiner Verteidigung nicht mehr freischwimmen kann und einigermaßen kopfscheu vor der Frage stehenbleibt, wes Lied so mainstream-geläuterte Rassisten- Provos wie die Böhsen Onkelz heute eigentlich rocken. Wie verhält sich der „Metallica-Ersatz-Ersatz-Rock“ (Walter) der Onkelz zum Beispiel zu Metallica? Oder zu Slayer? Oder zu Karl Moik und seinen diversen Stadln? In welche Latenz hat sich das ehemals explizite Feindbildgerocke der Onkelz zurückgezogen, und für welche gesellschaftliche Verschiebung sind sie eine Metapher?

Aber vielleicht können das ja andere richten. Mehr Forschung als Lehre. Mit Mahnungen zur diskursiven Correctness oder den handelsüblichen lustigen T-Shirts „Halt deine Umwelt sauber“ (mit Papierkorbmotiv, in das man Hakenkreuze und sonstigen Nazikram hübsch ordentlich reinmüllen soll), ist so ein Problemchen allerdings nicht zu entsorgen. Schon weil wir im Zeitalter des Recycling leben.