■ Die Todesmaschine in Ruanda muß angehalten werden
: Angst vor Parteinahme

Ein Teil der Menschheit wird unter unseren Augen gerade von der Weltkarte gestrichen. Das Programm der Vernichtung, die organisierte Schlächterei, die in Ruanda Hutu-Extremisten veranstalten, wird mit dem Verschwinden der letzten Tutsi und der letzten ruandischen Oppositionellen zu ihrem Ende kommen. Es geht um einen Genozid, ein Unternehmen geplanter Zerstörung menschlicher Wesen.

Die internationale Reaktion darauf war zunächst einfach und klassisch: Man diskutiert in Variationen das Thema interethnischer Gewalt, evakuiert die Ausländer, ruft zur Einstellung der „Kämpfe“ auf und baut die Logistik für humanitäre Hilfe auf. Schließlich wird die Wirklichkeit begriffen, und eine Regierung, in diesem Fall die französische, entscheidet sich zu handeln. Doch heute in Ruanda handeln heißt, mit den Mitteln einer Armee die Fortsetzung des Genozids zu verbieten, die als Geisel genommene Bevölkerung zu befreien, bevor sie dem Tod anheimgestellt wird, die bewaffneten Gruppen, die die Speerspitze der Massaker sind, zu neutralisieren, die Verurteilung der Henker vorzubereiten, weil es für Verbrechen dieser Dimension keine Straffreiheit geben darf.

Die Kritik an der schändlichen Hilfe, die Frankreich dem Regime, das für die Schlächterei verantwortlich ist, zukommen ließ, ist eine Sache. Aber heute ist etwas anderes viel dringlicher: Man muß diese Todesmaschine anhalten, auch wenn es spät ist, auch wenn es schwierig ist. Die humanitäre Hilfe kann am Vernichtungsprogramm, das sich die Hutu-Extremisten vorgenommen haben, nichts ändern.

Die Resolution 929 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, in der der Begriff des Genozids vermieden wurde, ist ein beredtes Beispiel für einen Geist des Kleinmuts. Zunächst erkennt die oberste Instanz der UNO an, daß „die Situation in Ruanda einen einmaligen Fall darstellt“, dann zieht sie sich aber auf den „strikt humanitären Charakter dieser Operation“ zurück, „die in einer unparteiischen, neutralen Weise durchgeführt wird“. Und schließlich werden dann Henker und Opfer einmal mehr in einen Topf geworfen, indem gefordert wird, „daß alle Konfliktparteien [...] sofort alle Massaker aufgeben“.

Wird das Humanitäre einmal mehr als Argument hinhalten müssen, um sich vor der Parteinahme zu drücken? Werden die Folterer Gesprächspartner oder Angriffsziel der in dieser Operation engagierten Truppen sein? Wird unser Jahrhundert, das 1915 mit einem Genozid, dem Völkermord an den Armeniern, eröffnet wurde, so enden, wie es begonnen hat: unter dem Siegel der Schande? Rony Brauman

Ex-Präsident der Hilfsorganisation „Médecins sans frontières“; der Text ist, stark gekürzt, Le Monde vom 30.6.94 entnommen.