Soldatenbanditen in Kambodscha

Die Regierungstruppen halten sich mit Straßenraub über Wasser, ihre Generäle stopfen sich die eigenen Taschen voll: So können die Roten Khmer noch lange durchhalten  ■ Aus Battambang Bertil Lintner

„Stop!“ brüllt ein junger Mann in Uniform. Er richtet seine Kalaschnikow auf die Reifen unseres Mietwagens. „Sie wollten wohl nicht anhalten, was?“ Er ist offensichtlich betrunken und schwenkt seine Maschinenpistole vor dem Wagen. Ich öffne das Fenster und reiche ihm eine Schachtel ausländischer Zigaretten hinaus. Er schnappt sie sich aus meiner Hand und wankt davon.

Ich bin erleichtert. Wir sind noch mal davongekommen. Aber unser kambodschanischer Fahrer ist ungehalten: „Sie dürfen sie nicht verwöhnen! Eine ganze Schachtel ist zuviel. Drei oder vier Zigaretten reichen. Wenn wir das nächste Mal kommen, werden sie jetzt mehr verlangen.“

Monatelang kein Lohn

Das gefährlichste Stück des Highway 5 von der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh nach Battambang im Nordwesten des Landes beginnt hinter dem Städtchen Pursat in der vom Krieg verwüsteten Ebene am Fuß der Cardamon- Berge. Das Gebiet ist dünn besiedelt, und der Urwald beginnt nicht weit westlich der Straße.

Aber die jungen Männer in Uniform, die unseren Wagen anhielten, um Zigaretten und Geld zu fordern, sind keine Highway-Piraten aus den Wäldern. Es sind Soldaten der regulären kambodschanischen Armee. Ihre Aufgabe: Sie sollen die Ebenen gegen die Kämpfer der Roten Khmer verteidigen, die ihre Basis in den Bergen haben, die in der Ferne zu sehen sind. Nur haben sie seit Monaten keinen Sold erhalten. Die Regierung in Phnom Penh steht am Rande des Bankrotts; es gibt keine Haushaltsmittel, aus denen die Soldaten an der Front bezahlt werden können.

Ähnliche Straßensperren gibt es in regelmäßigen Abständen entlang der Route nach Battambang. Ein paar Zweige und Äste auf der Straße zwingen die Wagen zu verlangsamen. Dann tauchen mit Automatik-Pistolen, Maschinengewehren und Panzerfäusten bewaffnete Soldaten vor an die Autos und halten ihre Hand auf. Ein Wagen, der wenige Tage vor unserem hier entlangfuhr und nicht anhalten wollte, wurde beschossen: Eine Rakete durch das Rückfenster des Autos reichte, um den Wagen zur Explosion zu bringen und die vier Insassen zu töten.

Heng Seng, ein 22jähriger Soldat an einer dieser Straßensperren, erklärt, daß er unter „normalen“ Umständen etwa 20 Mark im Monat verdient. Das ist sogar für kambodschanische Verhältnisse wenig. „Aber seit April haben wir überhaupt keinen Lohn erhalten. Und auch keine Lebensmittel.“ Seine Einheit ernährt sich vom Reis, den sie von den Bauern erhalten, und Blättern, die sie von den Bäumen im Umkreis ihrer Stellung pflücken.

Generäle im Überfluß

Ein wenig weiter auf der Straße zapfen Soldaten Benzin aus einem Panzerwagen ab, um es zu verkaufen. Ein Mann mit einem Bündel Banknoten in der Hand wartet neben den Soldaten: Ihr Sprit ist halb so teuer wie an der Tankstelle. Wir erfahren, daß andere Soldaten Munition, Handgranaten und sogar ihre Gewehre verkaufen, um zu überleben.

Alles, was es bislang noch an zentralen Regierungsstrukturen gab, zerfällt rapide. Daran ist aber nicht nur die Armut des Staates schuld. Offizielle Statistiken geben die Stärke der kambodschanischen Armee mit 126.263 Soldaten an. Aber nur ein Fünftel davon sind einfache Soldaten, die zumindest theoretisch kampfbereit sein sollen. Dagegen gibt es fast 2.000 Generäle und 15.000 Obristen oder andere hochrangige Offiziere. Mehr als 80.000 sind mittlere und untere Offiziere. Wie die Verwaltung im allgemeinen, so strotzt es auch in der Armee von Raffgier, Korruption und Vetternwirtschaft.

Die Unfähigkeit der Armee wurde schmerzlich erfahren, als die Regierung im Frühjahr eine großangelegte Offensive gegen die Roten Khmer startete. Diese erreichte ihr wichtigstes Ziel: die Eroberung des Hauptquartiers der Roten Khmer in Pailin, in den Bergen in der Nähe der thailändischen Grenze im Westen von Battambang. Aber als der Stützpunkt gefallen war, mußten die Regierungssoldaten feststellen, daß es keine Wagen gab, mit denen sie ihre Verwundeten zurück zu den Lazaretten in Battambang bringen konnten. Alle Vehikel weit und breit waren von den Offizieren requiriert worden, um ihre Beute zurück zu ihren Stützpunkten zu schaffen: Radios, Fernseher, Klimaanlagen, Kühlschränke und sogar Holz und Baumaterial von den Häusern, die in Pailin erobert worden waren.

Als dann die Roten Khmer Ende April eine Gegenoffensive starteten, war die Rückeroberung Pailins für sie eine leichte Sache. Die wenig motivierten und undisziplinierten Regierungssoldaten flohen in Panik, gaben Panzer und strategische Stützpunkte auf. Eine Einheit der Roten Khmer kam bis zu 20 Kilometer an Battambang heran, die zweitwichtigste Stadt in Kambodscha. Alle ausländischen Hilfskräfte mußten auf dem Luftwege nach Phnom Penh evakuiert werden.

Als es der Regierung schließlich gelang, den Vormarsch der Roten Khmer aufzuhalten, war es nicht die Armee, die gekämpft hatte: „Gekommen ist die bewaffnete Polizei. Sie haben die Roten Khmer zurückgedrängt“, sagte der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Daß man die bewaffneten Polizeieinheiten in den Kämpfen einsetzte, ist ein weiterer Hinweis darauf, daß sich innerhalb der Machtstrukturen Kambodschas nicht viel verändert hat – trotz der UNO- überwachten Wahlen im Mai vergangenen Jahres, in denen die alte Regierung unterlag. Die UNO hat es nicht nur nicht geschafft, die wichtigste Aufgabe ihres Mandats in Kambodscha zu erfüllen – die Demobilisierung von 70 Prozent der Streitkräfte aller Bürgerkriegsfraktionen. Sie hat auch niemals die mächtigen Polizeikräfte angerührt.

Deckname A-3

Da diese dem Innenministerium unterstanden und nicht dem Verteidigungsministerium, waren sie nicht Teil des Abkommens. Diese Sonderpolizeieinheiten trugen den Decknamen A-3. Sie sind ursprünglich von ostdeutschen Sicherheitsexperten ausgebildet worden – nach dem Vorbild jener Einheiten, die den Innenministerien der ehemaligen osteuropäischen Länder unterstanden. In der Praxis fungieren sie als bewaffneter Arm des Sicherheitsapparates, loyal dem alten Regime ergeben.

Aufgrund des schlechten Zustands der regulären Armee werden die A-3 verstärkt und ausgeweitet. In Battambang sah ich einen Lastwagen, der eine A-3-Einheit beförderte. Die Männer trugen saubere Uniformen, Walkie- talkies und verhältnismäßig neue Waffen. Sie schienen älter und viel disziplinierter als die regulären Soldaten. Diese Einheiten sind die einzigen im Lande, die einem erneuten Angriff der Roten Khmer standhalten könnten. Das aber bedeutet zugleich, daß die Vertreter des alten, autoritären Regimes, das bis zu den Wahlen im vergangenen Jahr in Kambodscha herrschte, ihre Macht zurückgewinnen.