And the winner is: adidas!

Drei Tage Techno-Taumel in Berlin / Zwischen 30.000 und 100.000 Menschen blockierten auf der 6. Love Parade den Ku'damm – und sich selbst / Gas- und Staubmasken nur noch bei 15jährigen in  ■ Von Thorsten Schmitz

Berlin (taz) – Es war einmal. Vor sechs Jahren machten 150 Lebenskünstler erstmals den Ku'damm zum Zentrum ihrer Ode an Love and Peace and Happiness. Mit großen Hüten, witzigen Kostümen und einem klapprigen Lautsprecherbus tänzelten sie zu Techno-Rhythmen zwischen Wittenberg- und Adenauerplatz: DJ Dr. Motte wollte Techno- und Housemusik bekannter machen.

Es war einmal. Und ist längst nicht mehr. Am Samstag nachmittag lähmten sich 30.000 (Tagesspiegel), 70.000 (Polizei) oder 100.000 (dpa) Techno-Victims gegenseitig. Nichts ging mehr. Nur stehen und gaffen, schwitzen und schunkeln. Zucken, bis daß die Sonne uns scheidet und die Männer vom Roten Kreuz den Hitzeschlag kurieren. Im Schneckentempo krochen die 41 Sattelschlepper – ihre einzige Erfrischung: Bässe, die selbst noch in den Ku'damm-Kinos bei der „Zweiten Heimat“ störten. Mitlaufen konnten nur die wenigsten; der Parcours war einfach dicht.

„Friede, Freude, Eierkuchen“ hieß das Motto der diesjährigen Love Parade. Bei der Polizei hatten die Veranstalter als Demonstrationsziele „Frieden“, „Abrüstung“ und „weltweite, gerechte Nahrungsmittelverteilung“ angegeben. Den politischen Touch brauchten sie, sonst hätten sie den Ku'damm mieten müssen.

Sieger der 6. Love Parade auf ganzer Länge: adidas. Jeder zweite trug die Drei-Streifen-Kluft um Bein und Bauch drapiert. Verlierer: die improvisierten Imbißbüdchen. Schon nach einer halben Stunde ging ihnen das Wasser aus. Der schönste Schlepper kam aus Frankfurt. Jim Avignon hatte ihn mit seinen Space-Collagen verziert, auf ihm ravten die kultiviertesten Techno-Ladies und House- Dandies. Ganz oben drauf: der Rattenfänger von Techno-City und Mehrfachmillionär Sven Väth (pro Abend kassiert er fürs Plattenauflegen zwischen 5.000 und 8.000 Mark).

Am einsamsten tuckerte der LKW aus Halle im alten Herzen Westberlins: ohne Musik, ohne Groupies, ohne Sponsor. All die hatten ihre Profit-Sponsoren gefunden. So hatte der Liebeszug viel von einem TV-Pausenfüller und ziemlich wenig von der „größten Disco der Welt“.

Die erste Generation des Techno, auch das bewies die 6. Love Parade, hat sich vom Exzeß verabschiedet – und widmet sich vorzugsweise dem Exhibitionismus, dem Kult um den schönen Schein. Die schönen Menschen in ihren sexy Klamotten, die vorm Parade-Take-off noch mal an der LSD-Bowle in einem Szeneschuppen nippten, haben sich vom Tanzen verabschiedet. Das tun vorbildhaft nur noch die Fünfzehnjährigen. Sie trugen Gas- und Staubmasken und Westen der Müllabfuhr, irrlichterten zwischen den fahrbaren Boxen und zuckten noch bis Redaktionsschluß am Sonntag auf einer umtosten Verkehrsinsel in Berlin-Mitte.

Schnellebig ist das Geschäft mit der Musik. Und weil der Kommerz Ideen kopiert, killt er sie: „Die Love Parade ist auch nicht mehr das, was sie mal war“, sagte eine Veteranin. Viele halten das Techno-Fieber für erloschen. Die 6. Love Parade, ein kurzes Aufbäumen vorm Tod? Gerüchten zufolge wollen die Veranstalter sich was Neues einfallen lassen. Tatsächlich ist die 4-Stunden-Tour zum zweitrangigen Tagesordnungspunkt abgerutscht.

Schon Freitag nacht pilgerten die Techno-Sklaven aus London, Limburg und Litauen nach Berlin. Bis Montag früh konnten sie sich in den Kult-Discos E-Werk, Tresor, Elektro, Halle Weißensee und Bunker tummeln. Die machten mit Eintrittspreisen zwischen 35 und 55 Mark den großen Reibach. Morgens um sieben war die beste Zeit zum Zucken – dann erst kamen auch die Stars der Szene. Sven Väth etwa versetzte mittels Stroboskopblitzen und düstersten Techno-Bässen seine Fans in einer Ostberliner Schwimmhalle in Ekstase. Einige tanzten im Wasser, andere am Beckenrand. Sogar der Papst hätte vorbeischauen können: niemand ließ die Hüllen fallen.