Die Ostsee, millimeterweise

■ Dem Binnenmeer mangelt es mal wieder an Sauerstoff / Seebäder wollen keinen Naturpark, aber auch keine Mülldeponie an der Lübecker Bucht

In zwölf Zentimeter dicken, luftdicht verschlossenen Aluminiumröhren lagert die Geschichte der Ostsee. Im Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Göttingen versuchen Wissenschaftler erstmals, eine „historische Hydrographie der Ostsee“ zu erstellen. Mit Hilfe von Sedimentproben wollen sie den Zustand der Ostsee über mehrere Jahrtausende hinweg ergründen und daraus Rückschlüsse auf klimatische Veränderungen ziehen. Auch auf die Frage, welchen Anteil der Mensch an der Meeresverschmutzung hat, erhoffen die Forscher eine Antwort.

Im August 1993 entnahmen die Geologen östlich der schwedischen Insel Gotland aus 450 Metern Tiefe bis zu 14 Meter lange Sedimentproben. Die liegen nun in Göttingen und warten auf ihre Untersuchung. An Ablagerungsschichten in den Sedimentkernen können die Wissenschaftler millimeterweise den Zustand des Wassers im Laufe der Zeit ablesen. Besonderes Augenmerk richten sie dabei auf den Sauerstoffgehalt.

„Derzeit ist das Wasser an der Stelle, an der wir die Proben entnommen haben, sauerstoffrei. Dort leben nur noch Schwefelbakterien“, erklärt Institutsleiter Dieter Meischner. Wie es zu der Sauerstoffarmut kommt, ist aber noch weitgehend unbekannt. In bestimmten Abständen fließt frisches Salzwasser und mit ihm Sauerstoff aus der Nordsee in die Ostsee. In der Tiefe lebende und verwesende Organismen einzelner Würmer und Krebse verbrauchen ihn jedoch im Laufe der Zeit vollständig. Zurück bleiben die Schwefelbakterien. Erst wenn neues Nordseewasser nachströmt, entsteht neues Leben.

„Warum das Nordseewasser zu bestimmten Zeiten fließt und zu anderen nicht, ist noch völlig ungeklärt“, sagt Meischner. „Aber erst, wenn diese Frage beantwortet ist, können wir mit Sicherheit sagen, ob die derzeitige Sauerstoffarmut ein natürlicher Effekt ist oder auf die Meeresverschmutzung zurückgeführt werden muß.“ In einem Jahr, so hofft der Göttinger Wissenschaftler, sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Trotz dieses keineswegs „rosigen“ Zustands wollen die Badeorte sich mit der Idee eines Naturparks nicht anfreunden. Die Initiative des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), an der Insel Fehmarn und der nordwestlich anschließenden Hohwachter Bucht einen „Nationalpark Ostsee“ zu schaffen, wurde vorige Woche vom Ostseebäderverband Schleswig-Holstein abgelehnt. Die vor rund einem Jahr erstmals vorgetragene Konzeption der Naturschützer will der Verband „nicht unterstützen“, sagte dessen Vorsitzender Ulrich Rüder.

Der Bürgermeister des “Familienbades“ Scharbeutz an der „liebsten Badewanne der Deutschen“, der Lübecker Bucht, befürchtet „nicht hinnehmbare Eingriffe“ in die wirtschaftlichen Strukturen der Region, speziell in die des Fremdenverkehrs. „Einschränkungen für die Fischerei und den Ausflugsverkehr wären unvermeidlich“, befürchtet Rüder. Außerdem müsse mit Beschränkungen in der Landwirtschaft der Region gerechnet werden, falls der Naturpark verwirklicht werden sollte. Außerdem, so Rüder, sei auch „mit Begeh- und Fahrverboten“ zu rechnen, die den Fremdenverkehr behindern würden.

Auch Planungen der Kieler Landesregierung, in Ostholstein, einer der fremdenverkehrsintensivsten Regionen des Landes, eine Sondermülldeponie einzurichten, lehnt der Verband strikt ab. Man werde sich der Verantwortung für den im eigenen Bereich auch durch den Fremdenverkehr produzierten Hausmüll (Restmüll) und dessen Lagerung zwar nicht entziehen können und wollen, konzidierte Rüder, aber „die Errichtung einer Giftmülldeponie, zumal auch noch mit einem hohen Anteil aus anderen Bundesländern, verstehen wir als eine nicht hinzunehmende Gefährdung des für die Region lebenswichtigen Fremdenverkehrs“. Die Planungen sehen als mögliche Standorte Schashagen in der Nähe des größten deutschen Ostseebades Grömitz oder Burg auf Fehmarn vor.

Der Gemeindevertretung von Grömitz, mit rund 2 Millionen Übernachtungen das größte (und deshalb häßlichste - oder umgekehrt?) Ostseebad, findet diese Haltung zu lau. Aus Protest gegen die „mangelnde Unterstützung des Ostseebäderverbandes“ im Kampf gegen jede Art von Mülldeponie trat der Badeort Ende voriger Woche aus dem Verband aus. smv/lno