Kunstauftrieb im Leihverkehr der Bilder

■ Kunstwerke in die Graphothek erwählt / für jedes Zimmer ein Schmuckstück dabei

So einfach ist es, sich in Bremen das Mäntelchen des Kunstkenners überzuwerfen: Wichtige Abendgäste haben sich angesagt, die Wohnung ist schnell aufgeräumt, Lachs und Feldsalat gekauft – aber was mit den leeren weißen Rauhfaserwänden?

Die Patentlösung heißt: Graphothek – Originalkunst zum Ausleihen. Diese Bibliothek der Bilder bietet seit 20 Jahren für die häusliche Leere auf Zeit, statt dem immergleichen Plakat von der letzten Ausstellung: echte Bremer GegenwartskünstlerInnen.

In diesen Tagen rollt der Nachschub an. Gestern war Markttag, Auftrieb der Bilder. Künstler, die endlich auf diesem Wege ihren Bildern eine Öffentlichkeit verschaffen wollen, sie aus dem Dornröschenschlaf der Atelies befreien wollen, brachten ihre Mappen vorbei. Bei ihrer Jurysitzung am Mittwoch wird die Graphothek über Neuankäufe entscheiden und alle Jahre wieder die Quadratur des Kreises versuchen. Wie mit nur 20.000 DM die optimalen Leihobjekte erwerben.

3.4oo Arbeiten hat die Graphothek bereits in ihrem Bestand. Und der Trend ist klar, mit bislang 100.000 Ausleihen und 75 Prozent ständiger Zirkulation liegt Bremen an zweiter Stelle unter derzeit 127 Arto- und Graphotheken.

Den Bedarf an ausleihbaren Bildern sollen nun die Bremer KünstlerInnen heranschaffen. Und sie tun es. Manche waren schon vor Öffung der Graphothek zur Stelle. Bereits nach zweieinhalb Stunden Einlieferungszeit begannen sich die Wände und Stellflächen zu füllen, 80 Anbieter der Ware Kunst hatten ihre Mappen abgegeben.

Der Wunschkandidat der hochkarätig besezten Jury, die sich selbstverständlich höchster Qualität verpflichtet sieht, ist der junge, unentdeckte Maler, der im Genre Landschaft oder Aquarell zuhause ist (das wird gerne genommen), schon höchste Auszeichnungen erworben hat, aber noch günstig zu haben ist.

Ulrike Gölner, 36, arbeitet seit 9 Jahren als Künstlerin. Drei Jahre lang war sie Stipendiatin der Sozialen Künstlerförderung und hat die Zeit als sehr produktiv empfunden. Für die Graphothek hat Ulrike Gölner drei archaisch anmutende Holzblumen ausgewählt. Aber angesichts der Fülle in der Ankaufshalle kann sie ihre Hoffnung auf einen Ankauf mit Mühe aufrecht erhalten. „Die haben ja leider auch nicht genug Geld“, meint sie mit einem Schulterzucken.

Gerd-Peter Patz, seit Gründung der Graphothek Herr über die Bibliothek der Bilder, hat diese Fülle nicht erwartet. „Es wird diesmal besonders schwer werden, in der Jury eine Entscheidung zu fällen.“ Dabei sind die Einschränkungen für den Ankauf nicht unerheblich. Große Formate sollen es nicht sein, die können die späteren Ausleiher schwer transportieren, sie finden auch über der häuslichen Sitzgarnitur keinen Platz. Plastiken wiederum dürfen nicht schwerer als zehn Kilo sein, andererseits sollen sie robust genug für den Leihverkehr sein. Und KünstlerInnen, die schon mit Bildern in der Graphothek vertreten sind, können nur drei neue Bilder zum Ankauf vorlegen, Bilderzyklen sind auch nicht gern gesehen. Wie nicht anders zu erwarten, sieht's auch bei den Ankaufspreisen nicht gerade rosig aus: 2.000 Mark werden offiziell schon als Schallgrenze für den Ankauf genannt, intern weiß man, daß realistisch betrachtet nur dreistellige Summen drin sind.

Die Gäste können kommen, die Suppe ist angewärmt und an der Wand hängt ein Original junger Kunst aus Bremen. Susanne Raubold