Fähnleinführer Fieselschweif Von Mathias Bröckers

Haben sie es also mal wieder hingekriegt, die Berti-Buben, und die Belgier im Achtelfinale glatt an die Wand gespielt. Und das in einer Besetzung – Brehme, Buchwald, Völler – die jeden Experten im Vorfeld zum Haareraufen und Heulen gebracht hätte: Wer graue Panther ins Adlertrikot steckt, muß sich nicht wundern. Und jetzt haben sie die beste Abwehr des WM-Turniers einfach zerpflückt: Der alte Ruudii schlug mit einer Präzision zu, von der junge Stürmerstars nur träumen können, der rackernde Buchwald machte juvenile Schnösel wie Effenberg oder Möller glatt vergessen, und der lahme Brehme spielte den Ausputzer ebenso gut wie zuvor der fußkranke Matthäus. Alter schützt vor Tordrang nicht – wenn die deutsche Rentnerband diese Form konserviert, ist das Finale locker drin. Und deshalb ist es auch an der Zeit, endlich eine Lanze für Berti zu brechen: naiv, verklemmt, katholisch, bieder, provinziell, einfältig... Was hat man ihm nicht alles vorgeworfen, dem Bundesberti.

Auch nach dem Einzug ins Viertelfinale: von Anerkennung, Respekt oder gar von Bewunderung keine Spur. Hätte ein Beckenbauer diese Mannschaft aufgestellt, er wäre als Megastratege und Fußballprofessor in den siebten Himmel gehoben worden, für einen Vogts bleibt nur die Headline, daß er halt „dreimal das große Los gezogen“ hat und als „Strahlemann“ vor „Glück“ jetzt ganz „entrückt“ sei. Er „freut“ sich halt, der kleine doofe Berti, der Mini- Kohl des Fußballs.

Nun ist es keine Frage, daß dem Bundestrainer, verglichen mit dem „Kaiser“, einiges abgeht: Verbal ist er weder ein kosmopolitischer Überflieger, noch kann er charismatisch heiße Luft verplaudern, er spielt auch kein Golf und ist als Werbeträger für edlen Zwirn und Luxuslimousinen völlig ungeeignet. Daß er als Fähnleinführer Fieselschweif seine Buben im Trainingslager um 9 Uhr ins Bett schickt („Hände über die Bettdecke!“) und überhaupt ein pfadfinderhaft verschwitztes Regiment führt, ist ein Klischee, das einfach paßt. Vor allem, nachdem er jetzt auch noch den Effenberg rausgeschmissen hat: Der kleine Terrier beißt die eloquenten Windhunde weg. Dabei war es längst überfällig, den eitlen Möchtegern-Kaiser aus der Zweitliga abzuservieren. Wer so wenig in den Füßen hat und dann auch noch die dicke Lippe riskiert, ist einfach überflüssig. Nicht weil der „Langfinger“, wie der salbadernde Pater Egidius meinte, eine „Schande“ darstellt, sondern weil der Jungschnösel Effe einfach gar nichts gebracht hat. Zugegeben, Bewunderung für einen wie Berti fällt schwer, selbst wenn er ein Spitzenkönner ist. Schon damals, als ich als 13jähriger unvergeßliche Ferien bei der Tante in Gladbach verbrachte und jedes Training auf dem Bökelberg verfolgte, war das so: Wenn Netzer popstarartig seinem grünen Jaguar entstieg, blieben wir Jungs stumm vor Bewunderung. Ein Berti im schlichten Trainingsanzug wurde dagegen kumpelhaft umjubelt. Genauso wie sein Job auf dem Platz – die Blutgrätsche hinten rechts – die vom Publikum stets mit einem anerkennenden „Bertii“ quittiert wurde, während die Traumpässe von Netzer euphorische Ekstasen hervorriefen. Geniales ist von dem „gelernten Werkzeugmacher“ nicht zu erwarten, aber solides Fußwerk hat immer noch goldenen Boden.