■ Über den Vormarsch der Socke in der Damenmode:
: Feinripp-Dessous am Knöchel

New York (taz) – Nackte Beine, rosige Waden ohne lästige Hülle, wohin das Auge blickt. Was ist in dieser Modesaison bloß mit den New Yorker Frauen los? Urplötzlich haben sie sich die hautengen, pechschwarzen Lycradinger vom Leib gerissen, und nun staksen sie völlig unbestrumpft durch die Welt. Und das nicht nur bei Tage, wo die ansteigenden Temperaturen eine solche Entscheidung durchaus plausibel machen. Nein, auch nachts, in gut klimatisierten Bars und Night Clubs, zeigen sie nacktes Bein. Und Socke!

Ja, frau trägt wieder Socke. Dieser Fußschlauch aus fein- oder grobgerippter Wolle, mal zu dicken Wülsten aufgeworfen, mal stramm bis zur Wade hochgezogen, hat das zarte Damenbein zurückerobert. Kombiniert wird sie mit schweren Nahkampfstiefeln oder zarten Riemchensandalen. Manchmal wird aus der Socke gar ein richtig langer Strumpf, der bis unter (nie über) das Knie reicht. Dann kommt das nackte Bein und obenrum superkurze Trägerminis, rustikale Shorts oder romantische Blümchenkleider.

Lange Zeit waren Socken ebenso wie Kniestrümpfe reiner Kinderkram. Zusammen mit Lackschuhen ließen sie zwar Mütterherzen höher schlagen, den niedlichen Kleinen wurden die rutschenden Dinger jedoch oft zur Qual. Mit der Pubertät streiften Mädchen zuallererst die infantile Socke ab. Trendbewußte Frauen trugen sie allenfalls beim Aerobic- Training oder manchmal zu langen Hosen. Zu Röcken oder Kleidern jedoch gehört die Strumpfhose wie die Heckflosse zum Cadillac.

Ob nun zum Business-Kostüm von Donna Karan, zum kleinen Schwarzen von Chanel oder zu Gaultiers Schnallenshirt, schwarz, blickdicht und absolut faltenfrei mußten die Beinumhüllungen sein – und von den Zehenspitzen bis zum Bauchnabel reichen. Mindestens. Nach all den Jahren der Düsternis haben sich die Frauen nun offenbar ihre Beinfreiheit zurückerkämpft. Oder ist das wieder mal eine Verschwörung der Edelschneider, die immer dann die Rocksäume ändern, wenn wir uns gerade ans Tragen ihrer Mikrominis gewöhnt und unsere Freundinnen mit Mühe davon überzeugt haben, daß das nicht lächerlich, sondern „latest fashion“ sei?

Die Frage ist genauso müßig wie die mit der Henne und dem Ei. Jedenfalls wurde die Socke auch schon auf Laufstegen gesichtet: Bei der Präsentation seiner Herbstmode ließ Gianni Versace seine Models zum silberlila Gazefaltenröckchen gleichfarbige Socken tragen. Und damit nicht genug, steckten die Füße, oder besser die Socken, dabei in schwindelerregenden High-Heel-Pumps. Lolita meets Vorstadtschlampe.

Selbst die Männer kommen am neuen Trend zur Socke nicht vorbei. Zwar verfügen sie schon über jahrzehntelange Erfahrung im Tragen. Doch meist bleiben die wollenen Fußschützer im verborgenen. In diesem Sommer jedoch ermuntert das US-Trendmagazin Vibe die Herren, ihre Socken offen zu zeigen. Der Renner der Saison sind „tube sockes“, weiße Sportsocken mit Streifen, im Dreierpack zu fünf Dollar. Dazu trägt man knielange, extraweite Shorts.

Und auch Hollywood hat den Kinderstrumpf wiederentdeckt. Neulich war Julia Roberts zu Gast bei David Letterman. Während sie dem TV-Moderator unentwegt Küßchen gab und brav erzählte, wieviel Spaß ihr die Dreharbeiten zu ihrem neuesten Film „I Love Trouble“ gemacht hätten, konnte man einen Blick auf ihre unbestrumpften Beine erhaschen. Und siehe da – was kräuselte sich um die Knöchel der „Pretty Woman“? Kleine weiße Söckchen, die in schwarzen Lackschuhen steckten. Na, wenn das kein Grund zum Umdenken ist. Ute Thon