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Die Kleinen Kniffe der Hüfte

■ Vom Staunen angetrieben: William Forsythes neue Choreographie in Frankfurt

Die sechs Tänzerinnen in William Forsythes jüngster Choreographie haben etwas von staunenden Kindern, die alles auf der Bühne untersuchen und selbst den Tanzbelag lüften, um sich kurz unter ihm zu verkriechen. Führt ihr Körper Tanzbewegungen aus, scheint es, als müßten sie allesamt hinterhereilen, so unkalkulierbar pflanzt sich die Energie im Körper fort. Und häufig verfangen, verwickeln und entwickeln sich die Bewegungen der Tänzerinnen erst in denen der anderen. Ein Zufallsdialog, als hätten zwei Fremde auf der Straße Blicke ausgetauscht. Wo andere Choreographen aus solchen Details allerdings noch Geschichten entwickeln, geht es Forsythe allein um Körper und Bewegungen.

Da fängt ein Bein an kalkuliert zu zucken, der Körper knickt in der Hüfte ein, und plötzlich stützt sich die Hand einer anderen Tänzerin auf dieser Hüfte ab, oder eine andere sucht die Schulter des Geigers Maxim Franke, der in Forsythes „Self meant to govern“ mitten unter den Tänzerinnen agiert. Thom Willems, Forsythes Hauskomponist, hat in Zusammenarbeit mit Franke und in Entsprechung zum choreographischen Prinzip eine musikalische Folie komponiert, in der einzelne Töne ausgelotet werden, bis es plötzlich zu dissonanten Stakkati kommt, auf die dann die Körper der Tänzerinnen mit minimalen Körperchoreographien reagieren – während Franke bereits einen Schritt weiter ist und seinen Geigenbogen testet, ihn wie eine Peitsche schwingt, um Töne zu erzeugen.

Auf der ansonsten leeren Bühne stehen Uhren, erst allmählich bemerkt man, daß sie nur Minuten und Sekundenzeiger haben. Bewegung im Raum braucht Zeit, mit dem kleinen Kniff des fehlenden Stundenzeigers hat Forsythe allerdings jegliche druckerzeugende Zeitmessung abgeschafft. Zeit verstreicht, und man hat Zeit, um alles zu untersuchen – vor allem natürlich die Bewegung und ihre Randbedingungen. Immer wieder sieht es so aus, als beobachteten die sechs Tänzerinnen alle Bewegungen ihres Körpers; wenn etwa Christine Bürkle den Unterarm wie einen Scheibenwischer über den Boden flattern läßt, sieht sie dabei zu, was dieser eine Körperteil da gerade treibt.

Dann tritt wieder Maxim Franke in Aktion, eine der Tänzerinnen hat sich hinter ein Seil verirrt, das sich im Hintergrund quer im Raum spannt und einen archaisch-dunklen Ton erzeugt, wenn die Tänzerinnen es nebenbei zum Schwingen bringen. Sie tanzt hinter dem Seil wie ein Raubtier im Käfig, während Franke, die Violine als Schild vor sich, zum Dompteur wird. Werden Musiker direkt in Choreographien eingesetzt, ist das gleichzeitig reizvoll und gefährlich. Sie können alle Aufmerksamkeit absorbieren, in „Self meant to govern“ kann das nicht passieren, da Franke organisch zur Choreographie gehört. Er analysiert, was er mit der Violine in der Hand alles machen kann, und wird gleichzeitig selbst Untersuchungsgegenstand der Choreographie. Eine Tänzerin geht zum knienden Franke und stoppt von oben den Schwung des Bogens, wodurch Irritationen entstehen, auf die die anderen Tänzerinnen reagieren. Ein Tanzkind spielt, und schon verändern sich die Bedingungen für die Bewegung.

Forsythes Choreographie dauert genau so lange, wie es die Fragen an einen Ballettabend erfordern. Nach einer halben Stunde pendeln die Körper kurz aus, und eine weitere Episode seiner nunmehr zehnjährigen Arbeit in Frankfurt ist zu Ende. Anstatt das Jubiläum im Blick zu haben – zehn Jahre sind immerhin was – und sein Tanzlabor zu präsentieren (in dem, wie zu Recht angemerkt wurde, an der „Tanzzukunft des Balletts des 21. Jahrhunderts“ gearbeitet wird), ließ Forsythe Saburo Teshigawara den Vortritt, dessen „White clouds under the heel“ den ersten Teil des Abends bildete. Er hat den japanischen Performance-Künstler, der zuvor am Theater am Turm Arbeiten im Grenzbereich von Choreographie und bildender Kunst vorstellte, bewußt als Gegenpol zur eigenen Arbeit mit der Compagnie geholt. An diesem Abend wirkte Teshigawaras stilisierte und bis in die letzten Nuancen strukturierte Choreographie wie ein Spiegel für Forsythes scheinbar vom Zufallsprinzip geprägte Erkundungen. Jürgen Berger

Self meant to govern“, Regie: William Forsythe, Musik: Thom Willems, im Ballett Frankfurt. Nächste Vorstellungen: 6. und 7. Juli

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