■ Afghanistan geht unter Ausschluß der Öffentlichkeit unter
: Am Hindukusch nichts Neues

Die Metapher Michail Gorbatschows vom „sowjetischen Wunder am Hindukusch“ gilt nach wie vor. Die Russen sind längst nicht mehr in Afghanistan, doch ihre Waffen blieben – ein blutiges Erbe des sowjetischen Imperiums. Allein während der ununterbrochenen Bombardements der letzten Woche wurden in den dichtbesiedelten Wohngebieten Kabuls Dutzende von Zivilisten getötet, Hunderte verletzt. Der afghanisch-usbekische General Raschieuddin Dostam, einst ein Mann der Russen, griff mit MiG- Bombern die Hauptstadt an. 70 Zivilisten starben.

Der Bombenhagel war ein Racheakt des usbekischen Militärmachthabers, der über den Hauptteil der von Kommunisten geerbten Luftwaffe verfügt. Zuvor hatten die Regierungstruppen die Milizionäre Dostams aus dem Osten der Hauptstadt vertrieben. Die Offensive der Regierung hatte vor allem ein politisches Ziel: Ende Juni lief die Amtszeit des Staatspräsidenten Rabbani aus, und die Waffen sollten Rabbanis Entschlossenheit unterstreichen, im Amt zu bleiben – trotz mehrfacher entgegengesetzter Beteuerungen. Nach 250 Jahren steht ein Tadschike im afghanischen Hochland an der Spitze des Staates. Rabbani konnte die Macht nicht abgeben, ohne von seinen „Volksgenossen“ für immer geächtet zu werden.

Vier Männer sind zur Zeit die Hauptprotagonisten des afghanischen Dramas: der tadschikische Theologe Rabbani, sein oberster Feldherr Ahmad Schahmasud, ebenfalls Tadschike, der fundamentalistische Rebellenführer und nominelle Premierminister Hekmatjar und Dostam, Herr des afghanischen Nordens. Kommunistische Wendehälse sind bekanntlich eine besonders opportunistische Spezies. Dostam, auf deutsch: „mein Freund“, war Duzfreund des sowjetischen Satraped Nadschibullah, verbündete sich vor acht Monaten mit Hekmatjar und richtete seine Waffen nun gegen die Regierungstreuen.

Bis jetzt sind alle Versuche, das Massaker auf dem mittelasiatischen Hochland zu beenden, gescheitert. Zuletzt kam die Friedensinitiative aus der Stadt Herat im Westen des Landes. Ismael-Kahn, Gouverneur der volkreichen Provinz Herat, rief alle Kommandanten und Parteiführer zu einer Jirga, der traditionellen afghanischen Versammlung, um den Bruderkampf zu beenden. Doch die Initiative scheiterte erwartungsgemäß. Dostam, nicht eingeladen, machte seinem Ärger mit Bomben auf die historische Stadt Herat Luft.

Bürgerkriege häufen sich zur Zeit auf allen Kontinenten. Wen kümmert er, der Bruderkampf in einem fernen Land, in dem seit 15 Jahren der Krieg zum täglichen Brot der Bevölkerung gehört? Aus Afghanistan gibt es also nichts Neues. Das Land geht unter Ausschluß der Öffentlichkeit zugrunde. Ahmad Taheri