■ Die Regierungskoalition hat aus 1989 nichts gelernt
: Herr Li wird sich artig bedanken

Die mißratene Verfassungsdebatte vom vorigen Donnerstag und die Deutschlandreise des Hauptverantwortlichen für das Massaker vom 4.6.1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking sind zwei Seiten einer Medaille. Die Regierungskoalition stellt nachdrücklich unter Beweis, daß sie aus den Ereignissen des Jahres 1989 nichts gelernt hat. Daran ändern auch die kritischen Anmerkungen einiger CDU-Abgeordneter zum Besuch Li Pengs nichts. Vor knapp zwei Wochen hätten sie den bündnisgrünen Entschließungsantrag zur Menschenrechtslage in Tibet unterstützen können. Inzwischen ist der Bundestag in Urlaub, Herr Li braucht keine parlamentarischen Störmanöver mehr zu fürchten. Der Kanzler, seine Minister und die Vertreter der deutschen Wirtschaft werden seine blutbefleckten Hände schütteln und ihm unter vier Augen versichern, daß es den guten Beziehungen nicht abträglich ist, wenn sie kurz das Thema der Menschenrechte streifen. Herr Li wird sich artig bedanken und betonen, daß gerade China sich außerordentlich für die Menschenrechte einsetze, daß die Europäer aber akzeptieren müßten, daß die Chinesen ein anderes Menschenrechtsverständnis hätten. Ein subalterner Vertreter seiner Delegation wird die Namensliste von ai wortlos an sich nehmen, danach steht den Wirtschaftsverträgen nichts mehr im Wege.

Nach dem Massaker waren sich die Demokraten in der Bundesrepublik einig, daß es keine normalen Beziehungen zum Pekinger Regime geben dürfe, solange nicht die Verantwortlichen bestraft, die Gefangenen freigelassen und wenigstens ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit durchgesetzt wäre. Nichts davon ist bisher geschehen. Statt dessen betont man die „Normalität“ der Beziehungen. Die Bundesregierung akzeptiert die spätstalinistische Formel von der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“, wie sie es schon bis 1989 tat.

Dabei geht es keineswegs um einen Wirtschaftsboykott, um das Ende der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Die stürmische Entwicklung der chinesischen Wirtschaft soll vom Westen auch nicht ignoriert werden. Alle Erfahrungen mit Diktaturen zeigen aber, daß sich aus dem wirtschaftlichen Aufschwung nicht zwangsläufig eine Entwicklung zum Rechtsstaat ergibt. Die Konsequenz aus den Ereignissen von 1989 in China und im sowjetischen Machtbereich, einschließlich der damaligen DDR, wäre gewesen, die chinesische Demokratiebewegung mit allen Mitteln zu fördern, die Distanz zu den Verantwortlichen für das Massaker aber so lange aufrechtzuerhalten, bis Fortschritte bei der Durchsetzung elementarer Menschenrechte in China feststellbar sind. Gerd Poppe

Außenpolitischer Sprecher Bündnis 90/Die Grünen