Die Suche nach dem rechten Weg

China isolieren oder kooperieren? Wodurch können die chinesischen ArbeiterInnen effektiver unterstützt werden? Die Debatte innerhalb der internationalen Gewerkschaften wird hitziger  ■ Von Hugh Williamson

Berlin (taz) – Abgesehen von Ministerpräsident Li Peng und einigen seiner Regierungskollegen in Peking wird kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen, daß die Menschenrechte in China systematisch verletzt werden. Weniger eindeutig aber fällt die Antwort auf die Frage aus: Was kann man tun, um dazu beizutragen, daß die Menschenrechte in China respektiert werden? Oder: Ist es effektiver, China international zu isolieren, als sich dort zu engagieren?

US-Präsident Bill Clinton hat im Mai dieses Jahres die Gewährung des Meistbegünstigungsstatus – das heißt vorteilhafter Zölle für chinesische Importe in die USA – erneuert und sich damit für ein Engagement entschieden. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen wie zum Beispiel die Firma Levi's, die China wegen der Gefangenenarbeit eine Lektion erteilen wollen und deshalb ihre Produktion im Reich der Mitte beenden.

Nach 1989 stand die Position der internationalen Gewerkschaftsbewegung fest: Keine Kontakte mit China, solange sich die Lage der Menschenrechte dort nicht verbessert hat. Doch diese Haltung ist längst nicht mehr unumstritten. Könnte es eine Wiederaufnahme von Beziehungen ausländischen Gewerkschaften nicht ermöglichen, Druck auszuüben und so einen Wandel zu beschleunigen? Oder liefen die Gewerkschaften Gefahr, ein System der Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren?

Jüngste Berichte dokumentieren miserable Lohn- und Arbeitsbedingungen, weitverbreitete Kinder- und Gefangenenarbeit und katastrophale Arbeitsunfälle, die häufig tödlich enden. Chinas einzige legale Gewerkschaft, der Allchinesische Gewerkschaftsverband (ACFTU), gibt seine Mitgliedschaft mit 100 Millionen an und wird von der Kommunistischen Partei kontrolliert. Unabhängige Arbeiterorganisationen sind verboten, viele Arbeiteraktivisten sind im Gefängnis.

Ende Juni trafen sich in Brüssel Spitzenvertreter der International Confederation of Free Trade Unions (ICTU) – des mit 120 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern bedeutendsten internationalen Dachverbandes –, um eine gemeinsame China-Politik auszuarbeiten. Eine klare Politik wird wahrscheinlich erst im Dezember formuliert werden, wenn der Exekutivausschuß über die im vergangenen Jahr erfolgten Konsultationen der Mitgliedsgewerkschaften zum Thema China unterrichtet wird. Die Funken fliegen aber schon jetzt.

So berichtete ein Gastredner aus China, Han Dongfang, in Brüssel von seinen Erfahrungen 1989, als er Arbeiterproteste organisierte und daraufhin ins Gefängnis kam. Im vergangenen Jahr wurde Han zwangsexiliert. Auf der anderen Seite hat Japans größter Gewerkschaftsverband Rengo als erste wichtige nationale Organisation im Mai 1992 die Isolationspolitik durchbrochen und eine Delegation nach Peking entsandt, wo sie mit Vertretern der offiziellen Gewerkschaften zusammentraf. Gegen heftige Kritik beharrt Rengo darauf, daß Japans „besondere historische und kulturelle Verbindungen“ mit China und die zuvor erfolgte Wiederherstellung sino-japanischer Geschäftsbeziehungen Gewerkschaftskontakte notwendig machten.

Der konservative National Trade Union Congress Singapurs ist noch einen Schritt weitergegangen: Er kündigte Pläne an, über sechs Millionen US-Dollar in Chinas gewerkschaftseigene Taxenunternehmen, ein Erholungszentrum und medizinische Betriebe investieren zu wollen. Chinas Gewerkschaften verfügen über 88.000 Unternehmen mit 238.000 Beschäftigten im ganzen Land.

In Europa hat der traditionell antikommunistische italienische UIL-Verband sich dafür eingesetzt, die Politik der Isolierung der chinesischen Gewerkschaft zu beenden. Dies will der US-amerikanische AFL-CIO jedoch verhindern, auch der DGB hat sich dagegen gewandt. Die Allchinesische Gewerkschaftsverband kann für den DGB kein Partner sein, da er keine wirkliche Gewerkschaft ist, sagte Jürgen Eckl von der internationalen Abteilung des DGB beim jüngsten DGB-Kongreß in Berlin.

Aber angesichts des chinesischen Wirtschaftsbooms suchen viele Industriegewerkschaften einen pragmatischeren Weg, der es ihnen ermöglicht, Informationen zu sammeln und Kontakte auf Betriebsebene herzustellen. Mehrere internationale Industriegewerkschaften haben China besucht. Und trotz der dezidierten Position der AFL-CIO haben über 100 lokale Zweige von US-Industriegewerkschaften Kontakte mit Chinas Gewerkschaftsverband.

Die IG Metall hat ebenfalls neue ACFTU-Kontakte, und in diesem Herbst wird sie chinesische Metallarbeitergewerkschafter auf ein Trainingsseminar zum Thema Interessenvertretung nach Deutschland einladen. „Angesichts der Verletzungen der Arbeiterrechte wollen wir nicht einfach nichts tun“, so Thomas Klebe von der Internationalen Abteilung der IG Metall. „Vor allem wollen wir Daten über die Aktivitäten deutscher Firmen in China sammeln – und auf diese Einfluß nehmen.“

Lee Cheuk Yan, Chef des Hongkonger Gewerkschaftsverbandes HKCTU, weist diese Argumente von sich: „Für den chinesischen Gewerkschaftsverband stellen Besuche durch ausländische Delegationen einen Propagandaerfolg in den Medien und unter den Arbeitern dar, zugleich entmutigen sie die unabhängigen Arbeiteraktivisten“, so Lee, der zu den führenden Kräften der Hongkonger Demokratiebewegung gehört. „Die gegenwärtige Debatte innerhalb der ACFTU ist ein Sieg für die Lobbyarbeit des chinesischen Gewerkschaftsverbandes. Die internationalen Gewerkschaften sollten unabhängige Gewerkschaften unterstützen und die Firmen auffordern, unabhängige Arbeitervertretungen aufzubauen. Den Kontakt zur Allchinesischen Gewerkschaft aufzunehmen läuft diesen Zielen entgegen“, sagt Lee.