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Die Konfusion amerikanischer Fußballjournalisten Von Andrea Böhm

So, jetzt kam es also ganz anders als erwartet: Die Stadien sind voll, die Einschaltquoten geradezu erstaunlich hoch; das US-Team hat es, ebenso erstaunlich, bis in die zweite Runde und dort einen ehrbaren Abgang gegen Brasilien geschafft; und die amerikanischen Sportreporter erweisen sich als ausgesprochen fachkundig in Sachen Fußball. Im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen zeichnen sich die Herren von ABC und ESPN zudem dadurch aus, daß sie sich jeglicher Kommentare über die Charaktereigenschaften und Physiognomien „des“ Südkoreaners oder Nigerianers enthalten. Dafür sind sie jedoch durchaus in der Lage, individuelle und kollektive Leistungen zu beurteilen: daß zum Beispiel die Sternstunden eines Lothar Matthäus, den eine amerikanische Illustrierte nach nicht näher erläuterten Kriterien zu einem der 50 schönsten Männer auf diesem Planeten erklärt hat, bislang ausgeblieben sind; oder daß afrikanische Mannschaften mittlerweile das technische Niveau vieler lateinamerikanischer Teams erreicht haben.

Nur der verbale Output der Fußballspieler und Trainer löst bei amerikanischen Journalisten immer noch Konfusion aus. Bei der US-Nationalmannschaft ist das Problem noch am geringsten: Nationalcoach Bora Milutinović spricht ein serbisch-spanisch-englisches Kauderwelsch, das manchmal nicht einmal seine Spieler dechiffrieren. Von der Presse ganz zu schweigen. Und die Kicker benehmen sich beim Interview vor der Kamera, wie man es von jungen Amerikanern erwartet, die für ein „cooles“ neues Produkt werben: wie eine Popgruppe im MTV-Video. Aber wenn dann plötzlich ein Arrigo Sacchi, Coach der italienischen Mannschaft, verkündet, „wir müssen spielen bis zum Tod“, dann fragt man sich in den USA, ob der Mann hier italienische Theatralik zum besten gibt oder zu viele Wagner-Opern gehört hat. Rätsel gibt auch Brasiliens Trainer Alberto Parreira mit seiner Phänomenologie des Fußballs auf: „Man muß wachsen. Wer schrumpft, wird zerdrückt.“ Der kolumbianische Verteidiger Alexis Mendoza versuchte, den Gringos Fußball mit Analogien zu erklären: Es sei wie im Leben, „da kämpfen wir auch bis zur letzten Minute. Oder bis die Stunde schlägt.“ Mendoza hat das gesagt, bevor einige Killer seinen Mannschaftskameraden Andres Escobar wegen eines Eigentores ermordeten. Egal: Für die amerikanischen Pressekollegen ist es ein weiteres Indiz dafür, daß diese Ausländer offenbar ein krankes Verhältnis zum Sport haben. Nun wagt kein amerikanischer Journalist die Behauptung, daß amerikanische Profisportler für eloquente und erleuchtende Äußerungen berühmt sind. Nein, ein Michael Jordan oder ein Troy Aikman quittieren die dummen Fragen der Presse meist mit ebensolchen Antworten. Aber in der Regel hüten sie sich davor, den Leuten die Welt zu erklären. Im Gegensatz zu Diego Maradona, der die Amerikaner wohl für blöd verkaufen wollte: „Fußball gibt den Leuten das Glücksgefühl, das sie von ihrer Regierung oder den leeren Versprechungen der Politiker nie bekommen. Der Fußball hat Argentinien nie belogen.“ Madonna, Maradona, dachten sich die amerikanischen Kommentatoren. Dem Mann ist nicht mit der Hand Gottes, sondern nur noch mit dem Hirn Gottes zu helfen.

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