■ Wolf Biermann leistet tätige Reue im Falle MRR: Willkommen daheim!
Wo dieser staatsmännische Ton angeschlagen wird, da stimmt etwas nicht: „Aber ich glaube, wir brauchen in diesem postmodernen Schickimicki-Zirkus mit seinem Beliebigkeitskult doch geistig-moralische Autoritäten. Freilich: Echt müssen sie sein.“
Es war eine Intervention von Jürgen Fuchs in dieser Zeitung (taz vom 23.6.), die Wolf Biermann ins Grübeln und zurück ans Pult brachte. Fuchs, der es als Stasi-Opfer und Stasi-Forscher wissen muß, hatte sich den Blick nicht von den Beschwichtigungsformeln vernebeln lassen, die Reich-Ranicki noch in seinem Spiegel-Interview verbreitet hatte.
Das hätte man eigentlich auch von Wolf Biermann erwarten können. Aber Biermann, der sich im jüngsten Heft des Spiegel so heftig für moralische Verbindlichkeit ins Zeug legt, hatte erst drei Wochen zuvor an gleicher Stelle das Seine getan, um der Beliebigkeit Vorschub zu leisten, gegen die er nun streitet. Welch eine ungeschickte Vorstellung! Biermanns gefürchtetes polemisches Spielbein, das zuletzt so treffsicher Sascha A. am Hintern getroffen hatte, schlug diesmal seinem Besitzer das feste geistig-moralische Standbein weg.
Daß er Marcel Reich-Ranicki hatte zur Seite springen wollen, war eine ehrenwerte Regung. Daß das Unterfutter seiner Verteidigungsrede aus nichts als einem „langen Telefongespräch mit dem großen alten Mann“ selber bestand, mag noch als journalistische Schlampigkeit aus Wohlwollen durchgehen. Wie Biermann dabei aber mit dem Auslöser der Affäre, Tilman Jens, umsprang, das war so gering nicht mehr zu verbuchen. Erst entmündigte er den Journalisten, dessen Recherche von MRR später scheibchenweise verifiziert werden mußte; hier solle doch nur ein Gegner von Übervater Walter Jens abserviert werden: Ödipus, Ödipus!
Die Triebstruktur des Hauses Jens sei dahingestellt. Wenn man aber schon, wie es Biermann in seinem ersten Spiegel-Beitrag tat, den Ankläger ohne jegliche Überprüfung der Beweislage einen „Rufmörder“ nennt, dann sollte man selber peinlichst Abstand zu den Praktiken des Rufmordes wahren. Biermann vermochte das in seinem Furor nicht, er streute den Verdacht, das tieferliegende Motiv von Tilman Jens' Recherchen sei Antisemitismus. Ein schwerwiegender Vorwurf. Ihn so ganz ohne Beleg hinzuwerfen, wie es Biermann tat, das heißt einen großen Sieg für die Beliebigkeit der politisch-moralischen Rede zu erringen.
Aber was soll's. Der offene Reuebrief an Jürgen Fuchs, der in einem Nebensatz auch Familie Jens aus der moralischen Sippenhaft entläßt, trifft den richtigen Ton. Den guten alten Biermann-Ton, süß wie die Eitelkeit und sauer wie die Zerknirschung. Willkommen daheim! Jörg Lau
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