Mit der ganzen „Härte des Gesetzes“

Schläge, Tritte, sadistische Demütigungen – in Berlin und Brandenburg berichten Vietnamesen über Folterpraktiken im „Polizeigewahrsam“/ 15 Opfer haben Anzeige erstattet  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Zwanzig Mann stark war die Besatzung des Polizeireviers im brandenburgischen Bernau – 15 Uniformierte, fünf Beamte in Zivil. Zwanzig gesunde, kräftige Männer, ausgebildet und bezahlt, die Augen und Ohren aufzusperren gegen Unrecht und Verbrechen. Doch an jenem Tag im Sommer 1993 setzte ihre Wahrnehmung aus: keiner hat etwas gehört, keiner etwas gesehen – jedenfalls nicht das, was in den Büroräumen links hinter der Wache geschah. Dem Vietnamesen Thanh dagegen hat sich das Geschehen ins Gedächtnis eingebrannt: „Wir mußten uns nackt ausziehen. Dann wurden wir einzeln in den verschiedenen Räumen geschlagen. A. wurde sehr schlimm geschlagen. Ein Polizist legte eine Jacke über seinen Kopf, so daß er nichts mehr sehen konnte und schlug ihm mit beiden Fäusten aus voller Kraft auf Ohren und Schläfen. Er konnte noch zwei Wochen danach fast nicht hören. Ein Polizist drohte ihm, mit dem Messer die Geschlechtsteile abzuschneiden.“

Einen Monat zuvor hatten die Bernauer Polizisten schon einmal einen Blackout. Keiner sah und hörte, was dem Vietnamesen Son Hai widerfuhr: „Der Zivilpolizist sagte zu mir, ich solle mich nackt ausziehen. Ich tat es und dachte, er will meine Bekleidung durchsuchen. Dann begann er jedoch, sich selbst auszuziehen, und versuchte, mich zu vergewaltigen.“

Im Westberliner Bezirk Wedding litten fünf Polizisten an temporären Wahrnehmungsausfällen. Dafür erinnert sich der Vietnamese Ha, der dort am U-Bahnhof Zigaretten verkaufte: „Sie schlugen auf mich ein, als ich am Boden lag und traten mich mit ihren Stiefeln. In der Wanne banden die Polizisten mir ein Seil um die Hände und zogen mich nach oben. Meine Arme und Hände waren hinten auf dem Rücken. Sie zogen mich so hoch, daß ich gerade noch auf dem Boden stehen konnte.“

Was Ha, Son Hai und Thanh sich nur unter dem Schutz der Anonymität zu berichten trauen, ist die Spitze eines Eisberges. Auf über 500 schätzt Tamara Hentschel vom deutsch-vietnamesischen Freundschaftsverein „Reistrommel“ die Zahl der Vietnamesen, die im Lauf des letzten Jahres in Berlin und im benachbarten Bernau Opfer von polizeilichen Mißhandlungen wurden. „Die meisten aber“, weiß Tamara Hentschel „trauen sich nicht, darüber zu reden. Viele wollen auch gar nicht mehr daran erinnert werden.“

27 Vietnamesen, die meisten kamen einst als Vertragsarbeiter in die ehemalige DDR, haben ihre Erfahrungen jetzt dennoch aufgeschrieben. Es sind Protokolle aus dem „Polizeigewahrsam“ mitten in Deutschland, doch bis ins Detail gleichen sie den Folterpraktiken lateinamerikanischer Diktaturen: Eine Mischung aus dumpfer Brutalität, lustvollem Sadismus und Perversitäten, denen erst die Gewißheit der eigenen Macht zum Durchbruch verhilft. „Insgesamt waren circa zehn Polizisten anwesend“, berichtet Quang über seine Festnahme im Polizeirevier Bernau, „wir mußten uns alle an eine Wand stellen, mit dem Gesicht zur Wand. Die Beamten, die vorbeigingen, durften uns schlagen, was sie auch immer wieder taten. Dann mußten wir Grimassen ziehen. Die Polizeibeamten fotografierten dabei nicht nur unsere Gesichter, sondern auch unsere Körper.“ Erst nachdem er Vertrauen zu den Mitarbeitern der „Reistrommel“ gefaßt hat, erzählt ein Vietnamese noch von einer anderen Demütigung: die Polizisten zwangen ihn, in eigens dafür angeschafften Damenslips über den Hof des Bernauer Reviers zu laufen.

Die schlimmsten Vorwürfe richten sich gegen die Beamten des Polizeireviers Bernau. Doch die Folterpraktiken und Demütigungen sind kein „Ostphänomen“. Auch aus Westberliner Polizeiwachen kamen festgenommene Vietnamesen mit gebrochenen Rippen, blauen Augen und Prellungen heraus. Und es sind beileibe nicht nur die Verkäufer von unverzollten Zigaretten, bei denen die Polizisten unter der „Härte des Gesetzes“ Prügel verstehen. Auch völlig Unbeteiligte geraten unter die Fäuste und Stiefel der Beamten. Einziges Merkmal: ihr Aussehen, das sie als „Fidschis“, als vietnamesische „Neger“, kenntlich macht.

Van Boi etwa wollte gerade den Kofferraum seines Autos ausräumen, als zwei Männer ihn beim Kragen packen. Als er um Hilfe schreit, weil er sich als Opfer von Nezonazis wähnt, herrschen die beiden ihn an: „Halt den Mund, wärst du allein, würden wir dich umbringen.“ Erst allmählich begreift er, daß seine prügelnden Gegenüber Polizisten sind. Nga Ngun wartete an einer Ampel auf grünes Licht, als sie in eine Razzia gegen Zigarettenhändler geriet. Ein Polizeiwagen fuhr die junge Frau in ein entlegenes Waldstück. Aus Angst, andernfalls von den Beamten vergewaltigt zu werden, unterschrieb sie ein Protokoll, das sie des illegalen Zigarettenhandels bezichtigt.

Ein „Ameisenheer“ von vietnamesischen Zigarettenhändlern hat Berlins Innenstaatssekretär Armin Jäger jüngst in der Stadt ausgemacht. „Ameisenheer“, das Wort prägt sich ein. Wo Menschen zu Tieren gemacht werden, herrscht an Freiwild kein Mangel. Gegenüber Vietnamesen gehen Polizeibeamte dabei nicht nur mit körperlicher Gewalt auf Jagd. In zahllosen Fällen, so die Beschuldigung der Opfer, nutzen sie ihr Amt auch „zur Aufbesserung des eigenen Gehalts.“ Daß Vietnamesen ohne Rechtsgrundlage das gesamte Geld abgenommen wird, ist gang und gäbe, berichtet Tamara Hentschel aus der Erfahrung ihrer Beratungsstelle.

Doch was gang und gäbe ist, ist noch lange nicht justitiabel: Voraussetzung ist, daß die Opfer ihr Schweigen durchbrechen. 15 von ihnen haben am Wochenende den Mut gefaßt: sie haben Anzeige erstattet gegen die Peiniger in Uniform. In Berlin und Brandenburg prüfen die Landeskriminalämter nun die Vorwürfe der Opfer – eine Prüfung in eigener Sache, von Kollege zu Kollege. Wegen Körperverletzung im Amt ermittelt auch Staatsanwältin Kerstin Langen aus Frankfurt/Oder gegen Beamte des Bernauer Polizeireviers, und sie tut das mit großer Entschlossenheit. Ein Polizist, der von den mißhandelten Vietnamesen als der brutalste von allen genannt wurde, ist inzwischen vom Dienst suspendiert. Ein weiterer, der bei den Mißhandlungen zugeschaut haben soll, hat vorerst Hausverbot im Revier. Staatsanwältin Langen hat eine Polizistenwohnung und die Spinde der Wache durchsuchen lassen. Bis spät in die Nacht hat sie auch die Beamten der Schicht vernommen, die Zeugen der Folterungen, der Demütigungen und der Schreie gewesen sein müßten. Doch der polizeiliche Korpsgeist hat funktioniert: Ohren und Augen zu, die Reihen fest geschlossen; nichts gehört an jenen Tagen und nichts gesehen.