Sehenden Auges in die nächste Runde des Krieges

■ Weil das Ziel nicht aufgegeben ist, Bosnien-Herzegowina wiederherzustellen, wird die bosnische Regierung den Plan ablehnen, falls der Korridor in serbischer Hand bleibt

An der Frage des Posavina-Korridors bei Brčko könnte sich der dritte Weltkrieg entzünden, erklärte kürzlich der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić. Und gegnerische bosnische Politiker stimmen dem ausnahmsweise zu. Denn diese Landverbindung von den serbisch besetzten Gebieten in Bosnien und Kroatien hin nach Restjugoslawien ist von ausschlaggebender Bedeutung für beide Seiten. Für die serbischen Nationalisten, weil ohne diesen Korridor die besetzten Gebiete zu einer Enklave würden, und für die bosnische Seite, weil der Fortbestand des serbischen Korridors die Teilung Bosnien-Herzegowinas unumkehrbar machen würde.

So ist es kein Zufall, daß die Diskussionen in der Gruppe der Fünf, die Dienstag abend ihren Vorschlag zur Beendigung des Krieges vorlegen wollten, immer wieder um den Status des Posavina-Korridors kreisten. Ob nun Brčko als Stadt geteilt würde, ob die serbische Seite ein Brücke erhält oder ob die jetzigen Demarkationslinien eingeforen werden – jeder Vorschlag wird für eine der Kriegsparteien unakzeptabel sein.

Für Radovan Karadžić hängt am Korridor nicht nur der Fortbestand des „großserbischen Traums“, sondern auch sein ganz persönliches politisches Schicksal. Würde nämlich ein Gegenkorridor zwischen Tuzla und Kroatien errichtet, hätte die serbische Seite den Krieg in Bosnien-Herzegowina umsonst geführt. Für Karadžić und seine Clique sowie die Nationalisten in Serbien wäre dies ein unerträglicher Zustand. Und sie sind bereit, den jetzt besetzten und von Kroaten und Muslimen „gesäuberten“ Korridor mit allen Mitteln zu verteidigen.

Um die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der in Kroatien und Bosnien eroberten Gebiete, der bosnischen und kroatischen Krajina, zu garantieren, wird jetzt schon an einer Eisenbahnlinie gebaut, die Belgrad, Bjeljina, Brčko, Banja Luka und Knin verbinden soll. Die darniederliegende Wirtschaft in den besetzten und zum Teil schwer verwüsteten und entvölkerten Gebieten soll so wieder in Schwung gebracht werden. Denn es ist noch eine andere „Gefahr“ entstanden: Vor allem die serbischen Bewohner der kroatischen Krajina könnten ja auf die Idee kommen, daß ihre wirtschaftliche Zukunft in einer Föderation mit Kroatien liegt und nicht in einem „Zonenrandgebiet“ in Großserbien. Und dafür gibt es immerhin Anzeichen. Auch deshalb ist der serbischen Führung daran gelegen, den Status des Korridors bei Brčko möglichst schnell endgültig abzusichern. Eine andere Lösung wird sie nicht akzeptieren.

Auf der anderen Seite, in dem von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebiet, wächst dagegen der Druck, den Status des Korridors zu verändern. Denn von einem Zugang zu dem slawonischen Kroatien würde insbesondere die Region um Tuzla profitieren. „Wir wollen nicht ewig am Tropf der internationalen Hilfe hängen“, erklärte der Bürgermeister von Tuzla, Selim Beslagić. Die dort ansässige chemische Industrie, die vor dem Krieg ihre Produkte in 80 Länder exportierte und von Medikamenten bis Düngemitteln eine große Produktpalette aufwies, könnte nach seinen Schätzungen in vier Wochen wieder arbeiten, vorausgesetzt, es könnten Rohstoffe geliefert werden. Und auch politisch rechnen sich die Bosniaken aus, daß, würde der serbische Korridor unterbrochen und ein Gegenkorridor errichtet, die serbischen Nationalisten kleinbeigeben und dann in eine bosnische Föderation zurückkehren müßten.

Weil das Ziel, Bosnien-Herzegowina in den alten Grenzen wiederherzustellen, nicht aufgegeben ist, wird die bosnische Regierung den Plan ablehnen, falls der Korridor in serbischen Händen bleibt. Auch der Vorschlag, Sarajevo zu teilen, würde von bosnischer Seite nicht hingenommen werden. Die Führung der Kroaten der Westherzegowina und die kroatische Regierung in Zagreb haben jedoch schon signalisiert, daß sie mit dem serbischen Korridor bei Brčko leben könnten. Krešimir Zubak, der Präsident der bosniakisch-kroatischen Föderation in Bosnien, wäre womöglich bereit, jedem diesbezüglichen Vorschlag aus Genf zuzustimmen. Denn bei dem Fortbestehen des serbischen Korridors befänden sich die Kroaten der Westherzegowina weiterhin in einer Schlüsselstellung.

Drohung mit UNO-Rückzug ist schon ausgesprochen

Und sie könnten weiterhin den Zugang zu Zentralbosnien kontrollieren, was durchaus erhebliche finanzielle Vorteile mit sich bringt. Die kroatische Regierung dagegen hofft noch, daß die Serben der in Kroatien besetzten Gebiete „vernünftig“ werden und angesichts der ökonomischen Unsicherheit bei einem Verbleib in „Großserbien“ eine Föderation mit Kroatien vorzögen. Dann wäre für Kroatien der Krieg beendet, um das Schicksal Bosniens bräuchte es sich nicht mehr zu kümmern.

Doch diese Hoffnung scheint auf Sand gebaut, denn das würde demokratische Verhältnisse auf der serbischen Seite voraussetzen. Die jedoch sind nicht gegeben. Wahrscheinlicher ist, daß die Konfrontation der Kriegsparteien in der kroatischen Krajina und in Bosnien-Herzegowina anhält. Um einer entscheidenden militärischen Auseinandersetzung entgegenzuwirken, die möglicherweise zu einer Konfrontation zwischen der Schutzmacht Serbiens, Rußland, und den USA als Schutzmacht der bosnischen Föderation führt, wird versucht werden, Druck auf die Kriegsgegner auszuüben. Besonders anfällig bleibt dabei die bosnische Seite: Die Drohung, die UNO-Truppen zurückzuziehen, wurde von französischer und britischer Seite schon ausgesprochen. Und der Drohung der UNO-Hilfsorganisation UNHCR, die Lebensmittelhilfe einzustellen, wird schon jetzt Nachdruck verliehen: Einige Hilfsorganisationen beginnen sich von der Bosnien- Hilfe zu verabschieden.

Bliebe noch der Vorschlag, UNO-Truppen in dem Korridor zu installieren und somit den Verkehr in beiden Richtungen zu garantieren. Die UNO jedoch hat abgewunken, die dazu notwendigen 10.000 Mann sind nicht aufzutreiben, die Kosten könnte sie nicht tragen, heißt es im UNO-Hauptquartier in Zagreb. So scheint die Welt sehenden Auges in die nächste Runde des Krieges zu stolpern. Erich Rathfelder, Split