Stapellauf in eine ungesicherte Zukunft

Sieben Kreuzberger Jugendwerkstätten bangen um ihre weitere Arbeit, weil die Senatsbürokratie die zugesagten Gelder nicht bewilligt / Bleiben die ersten selbstgebauten Stahlboote auch die letzten?  ■ Von Anja Dilk

Sanft gleitet das weiße Stahlboot am Kreuzberger Urbanufer entlang. „Tabasko“ ist in roten, geschwungenen Lettern an der Seite des Bootes zu lesen. „Schließlich ist unser Boot genauso scharf wie das Gewürz“, sagt Nuri stolz. In eine leuchtend orange Rettungsweste gezwängt sitzt er neben seinen Mitschülern aus der BB10 in dem kleinen Boot. Und zwar nicht in irgendeinem. Sondern in einem Boot, das sie von Beginn an selbst gefertigt haben.

180 Schultage haben die elf Schüler des Oberstufenzentrums Konstruktionsbautechnik gesägt, gebohrt, geschweißt und gebaut, bis sie das 400 Kilo schwere Boot zu Wasser lassen konnten. Ausgerüstet mit kompletter Besegelung und einem kleinen Vier-PS-Außenbordmotor, läßt sich mit „Tabasko“ schon einiges anfangen. Alle elf Schüler der Klasse passen in das fünfeinhalb Meter lange Stahlruderboot hinein.

Nuri gehört zu einer der beiden Klassen des Oberstufenzentrums Konstruktionsbautechnik in Berlin Kreuzberg, die in diesem Jahr erstmals die Möglichkeit hatten, in ihrem Berufsbefähigendem Lehrgang (BB10) ein eigenes Boot zu bauen. Seit gestern liegen die Boote in der Jugendbildungsstätte Haus Kreisau in Kladow vor Anker. Dort können sie die Schüler in ihrer Freizeit nutzen.

Das Bootsbauprojekt ist eine von sieben Schülerwerkstätten, die seit 1993 im Rahmen eines Sonderprogramms der Senatsschulverwaltung „Jugend mit Zukunft“ in Kreuzberg angeboten werden. Das Angebot reicht von einer Fahrrad- über eine Bildhauer- bis zur Gartenbauwerkstatt.

Die Schülerwerkstätten sind in erster Linie als Nachmittagsversorgung der Schüler gedacht. Durch sinnvolle Projektarbeit will der Senat einen Beitrag zur Gewaltprävention von Jugendlichen leisten. Gerade in einem Bezirk wie Kreuzberg mit großem sozialen Konfliktpotential ein wichtiges Projekt. „Die Schüler sollen motiviert werden, sich auch außerhalb der Unterrichtszeiten zu engagieren“, sagt Dirk Jordan, Stadtrat für Volksbildung des Bezirks Kreuzberg, „bei der Projektarbeit entwickeln die Schüler einen persönlichen Bezug zu ihrer Arbeit.“

Aber die Finanzierung der Werkstätten für das kommende Schuljahr ist ungewiß. Nach Parlamentsbeschluß werden die Mittel für die Schülerwerkstätten um zwei Millionen gekürzt. Die ursprüngliche Zusage für eine Finanzierung der Schülerwerkstätten in Kreuzberg hat der Senat bisher nicht eingehalten. Es fehlen 100.000 Mark. Die vom Bezirksamt Kreuzberg beantragten Mittel für 1994 wurden bisher nicht bewilligt. Denn: Bemessungsgrundlage sind die Ausgaben im Vorjahr. Die lagen 1993 jedoch für die Schülerwerkstätten unter der ursprünglich beantragten Summe.

Weil sich Lieferungen und Baumaßnahmen verzögerten, konnten die notwendigen Maßnahmen für die Projektarbeit aus den bewilligten Geldern von 1993 nicht durchgeführt werden. Sie flossen ins Staatssäckel zurück. Daher werden 1994 zusätzliche Mittel gebraucht. „Die Anlaufzeit ist eben im schulischen Bereich etwas länger“, sagt Roland Büchner, Jugendberater vom Bezirksamt Kreuzberg. „Wenn es dem Senat aber bei seinem Programm tatsächlich um die Jugendlichen geht, sollte er flexibler vorgehen und sich nicht bürokratisch an Bemessungsgrundlagen orientieren.“

Dabei steht der Erfolg der Projektarbeit in den Augen der Pädagogen außer Frage. „Die Schüler sind motivierter, sie lernen Teamarbeit“, sagt Gerd Hein, der das Bootsbauprojekt betreut, „und identifizieren sich viel mehr mit der Arbeit, als wenn sie wie im normalen Regelunterricht Einzelteile für den Papierkorb bearbeiten.“ Ein handlungsorientierter, fächerübergreifender Unterricht ist nach Heins Einschätzung bei der Projektarbeit besser möglich. Die Praxisorientierung motiviere gerade „schulmüde“ Schüler, so Betreuer Hein, und verschafft ihnen größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

„Es wäre ein echter Verlust, wenn Schülerwerkstätten wie das Bootsbauprojekt eingestellt werden sollten“, sagt Büchner. Das Gezerre um die Finanzen ist auch für die Lehrer, die sich im Bootsbauprojekt engagieren, nicht sehr motivierend. „Stirbt das Projekt, gehen viele wohl wieder zur Tagesordnung über“, meint der Jugendberater. „Dann werden halt weiter Berliner Bärchen gefeilt.“

Das Bezirksamt Kreuzberg hofft, daß die Gelder doch noch bewilligt werden. „Sonst“, sagt Stadtrat Jordan, „müssen die Projekte nach den Sommerferien eingestellt werden.“