Bloß nicht diese Hauptstadt!

■ Auf dem Weg in eine Architektur der nationalen Selbstüberheblichkeit und der Rehabilitierung der konservativen Moderne der NS-Architektur? / Stadtforum - Ort des bigotten Scheindiskurses / Heinrich Klotz ...

Heinrich Klotz ist Gründer des Deutschen Architekturmuseums und heute Direktor der staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

In den aktuellen Bauprojekten in der Hauptstadt Berlin wird die Rückkehr zur normalen und konventionellen Stadt gefordert, die gleichzeitig einhergeht mit der Wiederentdeckung der spezifischen berlinischen Architektur, die sich in der Geschichte durch Purismus, Einfachheit und Klarheit ausgezeichnet haben soll.

Heinrich Klotz: Es ist im doppelten Sinne widersinnig, eine einfache Architektur als Anspruch zu fordern. Erstens, weil Normalität und Konventionalität etwas Selbstverständliches sind. Zweitens, weil diese Architektur elitär ist. Wenn Sie zum Beispiel den Entwurf von Kollhoff für den Potsdamer Platz nehmen: Dort wird eine Intellektualität im Erkennen erfordert, nämlich daß diese Gleichmacherei einen Wert darstellen könnte. Ein völlig uniformes Blockdesign mit Kranzgesims und klassizistischer Fassade legt sich ohne Unterscheidung über jeden Bau. Damit wendet sich diese Architektur aber gerade gegen die Geschichte, die sie einklagt, gegen deren Vielgestaltigkeit, gegen deren Mannigfaltigkeit. Ich frage mich, was passiert, wenn ich mich in Kollhoffs Stadt bewege? Ich erkenne keine Differenzierung mehr, habe keine Anhaltspunkte mehr, bin hineingeworfen in eine Stadt, die noch mehr, als es der Funktionalismus je geschafft hat, gleichförmig ist.

Es geht um die Definitionsmacht der Architekturgeschichte. Es gibt Bestrebungen, die Beziehung zwischen Avantgarde und Modernität zu zerschlagen, indem auch bei der konservativen Moderne und bei den Nazis moderne Elemente ausgemacht werden. Schrittweise wird über die Rehabilitation der konservativen Moderne die NS-Architektur enttabuisiert.

Ich weiß nicht, ob sie es riskieren, zu sagen, Albert Speer ist unser Vater, und nicht der Architekt Ungers. Was mir auffällt, ist, daß viele Protagonisten des neuen Berlins Schüler von Ungers sind. Man könnte nun leicht in die Versuchung geraten, Ungers vorzuwerfen, daß er mit seinen strengen Formen das alles vorgegeben habe. Das halte ich für einen Fehler. Ungers hat immer einen Sinn gehabt für feinfühlige Proportionen, die menschennah und nicht stur sind.

Wenn ich allerdings Kollhoffs Innenraum-Perspektive für den Anbau an das Neue Museum sehe, dann muß ich sagen, das ist eine Sprache, die ich um keinen Preis sprechen möchte. Diese Sprache beinhaltet eine Machtallüre, die wir seit 1945 nicht mehr gekannt haben und die wir auch sehr deutlich abgelehnt haben.

Durchsichtigkeit ist nicht immer Demokratie, und schwerer Stein ist nicht gleich Faschismus. Aber in diesen Entwürfen präsentiert sich die Architektur dennoch so, daß ich mich fragen muß, was mir in einer solchen Stadt auch politisch abverlangt wird. Das ist der eine Aspekt der Neuen Einfachheit.

Der zweite Aspekt ist, daß man sich freut, Komplexität aufzugeben. Wenn man wieder von Einfachheit in dieser Form redet, dann affirmiert man auf sehr deutliche Weise: Erstens, es gibt einen Baublock, immer nur der Block, der mit einfachen Fassaden verkleidet wird, die allenfalls noch Pseudo-Pilaster tragen dürfen und nichts sonst: das ist die Neue Einfachheit. Komplexität, Mannigfaltigkeit, um in der Architekturgeschichte Humanität faßbar zu machen, sind hinfällig.

Der dritte Aspekt ist, daß diese Bestrebung aus der Tradition der Moderne hinausführt und sie nicht bestätigt. Die Neue Einfachheit ist eine Gegenqualität zur zweiten Moderne, zu einem Aufgriff dessen, was am Anfang dieses Jahrhunderts angedacht wurde.

Glasarchitektur wird mittlerweile schlechthin diffamiert. Glas ist das Synonym für das Unsolide, wie der Architekt Hans Kollhoff neuerdings sagt.

Das hat natürlich etwas mit der Architekturgeschichte der alten Bundesrepublik zu tun. Die hatte auch ihre Ideologie. Die Ideologie des Leichten, des Durchschaubaren, des Demokratisch-Offenen: um eines zu beweisen, daß wir das Bauen im Sinne des Dritten Reichs loswerden wollten.

Das Stichwort für die heiteren Spiele in München, das war das höchste Ziel, das man erreichen wollte. Das war richtig. Aber die Architektur ist in ihrer Form selten eindeutig. Das müssen wir auch über den Berliner Block sagen, der nicht faschistoid ist. Aber der nächste Verwandte davon, dieser Innenraum des Eingangsgebäudes für die Museumsinsel von Kollhoff, gleicht in der Tat dem (der Nazi-Architektur; d. Red.) im Haus der Deutschen Kunst.

Kollhoff versucht die Architektur als Kunst zu etablieren. Er entwickelt die These, daß es möglich ist, die Architektur des Nationalsozialismus von ihrer Mittäterschaft zu befreien.

Es kommt am Ende darauf an, ob das geschaffene Kunstwerk glaubwürdig ist oder nicht. Welche Erzählung ist es, und was sage ich damit? Wenn ich nichts anderes zu sagen habe als: Der Container darf auch wieder Pilaster oder Fassaden der dreißiger Jahre haben, ist es fraglich, ob das eine glaubwürdige und hilfreiche Geschichte ist, eine Geschichte, die menschenerträglich ist. Wenn das Vokabular nur Retektonisierung, Schwere, Masse, Pathos enthält, nach Paxtons Kristallpalast, nach dem Olympiazelt, dann wird etwas verhehlt und verdeckt. Zumal wenn klar ist, daß das der alte Funktionalismus im klassizistischen Gewand ist. Dieser Container wird mit einer Ideologie des Städtischen gerechtfertigt. Der Block wird zwar aufgeteilt unter ein paar Architekten, die aber alle nur das gleiche daraus machen.

Was wird also der Öffentlichkeit geboten? Die unablässige Feier der Wiederentdeckung der Blockrandbebauung, die völlig verabsolutiert, diese Stadt wiederum in einer Weise monotonisiert, wie wir sie ja gerade loswerden wollten. Es ist dann wieder die Containerarchitektur. Es handelt sich einfach um aneinandergereihte Klötze mit Fassadendekor. Da haben sie ansehnliche innerstädtische Grundstücke und hauen wüst rein mit Haupstadtgestus und Größe. Jawohl, groß sind wir!!!

Berlin befindet sich in einer ökonomisch und politisch instabilen, schwierigen Situation. Wird die Sehnsucht nach dem Mythos der Schwere nicht dadurch begründet und verständlich?

Als Sehnsucht vielleicht verständlich, aber nicht als Machtallianz. Denn es handelt sich um die Formation einer Architekturbewegung. Es ist die Attitüde des Sich-Wappnens, des strengen Durchgreifens, des Mit-einer- Stadt-Fertigwerdens. Offen gelassen wird da nichts. Da wird entschieden. Da wird erfüllt. Da werden die Dinge hingesetzt, lastend und hart, Block für Block. Das sind ja fast schon Kraftausdrücke, denen wir da begegnen.

Wer macht das? Was sind das für Architekten? Was sind das für Politiker, die sich da formieren und uns ein solches Berlin der Zukunft anbieten, was ein Berlin der Vergangenheit ist? Ich fahre nicht mehr so gerne nach Berlin, weil es dort eine Phalanx von Rechthaberei, von Mißachtung gibt, so daß man sehr schnell zwischen die Räder gerät, zum Beispiel zwischen die beiden Bausenatoren.

Ich habe auch den Eindruck, daß das einen bigotten Charakter hat, weil man so tut, als wäre alles durchsichtig, als sei Demokratie am Werke. Das „Stadtforum“ zum Beispiel ist eine Veranstaltung, die durch und durch bigott ist, weil sie mit großen Drucksachen einen folgenlosen Scheindiskurs führt: Gebaut werden dann diese Blöcke.

Und dann kommt Hans Stimmann als Baudirektor der Stadt, der mir offen eingestanden hat, daß er Architektur nie so richtig studiert hat, daß er vom Einzelbau überhaupt nichts versteht, daß er in die 68er-Generation hineingeraten sei, wo man ihm abgeraten hat, einen Bleistift in die Hand zu nehmen. Einen Architekten, den ich bisher sehr geschätzt habe, Kollhoff, der begibt sich nun auf das Feld der visualisierten Tektonik. Architektur muß wieder tragen und lasten, Schwere muß wieder zum Ausdruck kommen und sogenannter Charakter dasein. Das heißt, am Ende muß Macht sichtbar sein. Das Lasten ist ja zum Stemmen geworden. Der vielleicht überstrapazierte Begriff der Leichtigkeit wird hier völlig konterkariert. Das alles sind Reaktionen, die einem das Mitleid in die Augen treiben. Man könnte fast weinen. Es ist eine solche Hilflosigkeit darin. Es wird versucht, Ausdruck und Bedeutsamkeit zu schaffen – und es bleibt einem das Wort im Halse stecken. Das ist etwas, was man eigentlich gar nicht mehr kritisieren möchte, so harmlos ist es am Ende dann doch. Nur, wenn die ganze Stadt so aussieht, wenn das die neue Zeit ist, dann habe ich noch mehr Grund, nicht mehr nach Berlin zu fahren. Und dann habe ich noch mehr Grund zu sagen: bloß nicht diese Hauptstadt.

Kollhoff liefert eindeutig die suggestivsten Bilder des neuen steinernen Berlin mit der Ikonographie der dreißiger Jahre ...

Kollhoff ist die interessanteste Figur, weil er als Architekt besser ist. Er hatte auch immer schon einen Begriff von Urbanität, was vielen Architekten ja abgeht. Die großen Wohnblocks zu Zeiten der IBA waren strikt, aber hatten dennoch eine gewisse Offenheit. Es wurde niemals mit dem Hammer philosophiert, sondern hatte eine Umgebung, hatte Bewegung, war nicht starr. Während der Entwurf für die zweite Stufe Potsdamer Platz ein aggressiver Umschwung ist, so daß ich am Anfang geglaubt habe, er hätte eine Karikatur gewollt. Als ich merkte, das ist ernst gemeint, da passierte mir zum ersten Mal, daß ich das Wort faschistoid in den Mund genommen habe. So enttäuschend war das.

Und das Ganze vor dem Hintergrund der unseligen Liaison zwischen einem Baudirektor, der kein Architekt sein kann, und zwischen dem ehemaligen IBA-Direktor Kleihues, der sich als zweiter Haussmann wähnt. Seine kritische Rekonstruktion war ja ein Ereignis im Rahmen der Postmoderne. Die Wiedergewinnung des Blocks war nicht allein historistisch, sondern ursprünglich programmatisch intendiert, um Mischnutzung, vor allem in der City, wieder möglich zu machen. Schon während der IBA haben sich manche über den Formalismus beschwert, also die sture Einhaltung von Traufkante, Blockrand etc. Trotzdem waren damals aber architektonische Vielfalt und moderne Ausdrucksmittel noch möglich. Da dieses Konzept der kritischen Rekonstruktion, das eigentlich schon ausgelaugt war, durch die neue politische Situation und den ökonomischen Druck Kleihues zu einer solchen Machtposition verhelfen konnte, ist für Berlin sicher fatal. Denn was man nun in der Friedrichstadt entstehen sieht, ist städtebaulich, funktional und vor allem architektonisch von solcher Eintönigkeit, da eine demokratische Gesellschaft sich schwerlich darin wiederfindet. Der penetrant vorgetragene Zusatz, daß individuelle Vielfalt im architektonischen Ausdruck entstehen kann, ist heuchlerisch. Denn es handelt sich doch nur, unter völliger Mißachtung jedes öffentlichen Interesses, um billige Fassadenvariationen.

Man kann nicht sagen, daß in der Friedrichstadt nichts Neues entsteht. Dort entstehen Blöcke von solcher Verdichtung, wie sie die Friedrichstadt noch nie gesehen hat. Ist die Architekturdebatte in Berlin nicht eine Ouvertüre für eine Neudefinition der deutschen Nation zwischen Ost und West?

Ja! Vordergründig geht es natürlich um die Berliner Architektur. Aber von dort, nämlich von der neuen Hauptstadt, verbreitet sich das. Die Frage stellt sich jetzt, ob Berlin sich mittels dieser Architekturbewegung als das Berlin etablieren will, als das wir es auch kannten, als ein Berlin der nationalen Selbstüberhebung. Der jetzt herrschende Machtgestus, der keine Lockerung duldet, die Vereinseitigungsformen ohne jede Liberalität, gehen in jedem Fall über das Berlin der Offenheit hinweg.

Der Architekt Koolhaas hat einmal gesagt, da es zur Zeit der Mauer, auf der Insel, in West-Berlin eine offene Gesellschaft gab. Das kehrt sich jetzt offensichtlich um: Die Mauer ist weg, und es bildet sich eine geschlossene Gesellschaft heraus. Dazu verläßt man nicht nur die Geschichte der alten Bundesrepublik, sondern es wird auch die ehemalige DDR dabei völlig vereinnahmt. Die Vereinigung löst Unsicherheit, Angst vor der Zukunft aus. Deswegen sucht man die Remythologisierung einer gemeinsamen Vergangenheit. Fritz Neumeyer, der Architekturgeschichtler, spricht schon ganz offen davon. Dabei stolpert man durch alles und über alles: Berlin- Mythos, preußischer Klassizismus und – zögernd noch – auch das Dritte Reich.

Es ist für mich erstaunlich, daß Fritz Neumeyer in seinem Beitrag zur Berliner Architektur sagt, es geht nicht nur um die Entmythologisierung, sondern auch um Remythologisierung. Ich bin einfach sprachlos, wenn jemand das heute behauptet. Mit welchen Mythen sollen wir denn die Architektur wieder aufladen? Dem Mythos der Schwere, der Gewalt? Dem Mythos der Repräsentation, des Zeremoniells?

Es ist die Sehnsucht nach dem Bedeutungsvollen, nach Größe ...

Bedeutungsvoll wäre eine Stadt der Menschenrechte. Aber eine Stadt mit Re-Mythos? Ich kann nur hoffen, daß Neumeyer etwas anderes darunter versteht als das, was man eigentlich darunter verstehen muß. Man kann diese Begriffe nicht x-beliebig gebrauchen. Er kann nicht später sagen: Ich bin mißverstanden worden. Alle diese Leute müssen aufpassen, daß sie später nicht sagen, sie sind mißverstanden worden. Diese Dinge sind verdammt deutlich.

Der vollständige Text des Gesprächs, geführt von Nikolas Kuhnert und Angelika Schnell, ist nachzulesen in dem neuen Heft der Architekturfachzeitschrift „ARCH+“ Nr. 122 mit dem Titel „Von Berlin nach Neuteutonia“