Wickelraum mit integrierter Sauna

■ Fast wie im Sozialismus: Ein schwedisches Filmdorf weigert sich, weiter auf „Fannys Farm“ zu arbeiten, und „Das Schweigen“ kann einpacken

Schweden ist ein ziemlich beknacktes Land, das wird wohl kaum jemand bestreiten. Es gibt jede Menge Seen, Sozialarbeiter und Mücken; richtiges Bier nur auf Bezugsschein und an jeder Straßenecke einen öffentlichen Wickelraum mit integrierter Sauna. Fast wie im Sozialismus hat der Staat für seine Bürger hier größtmögliche Freiheiten geschaffen, indem er einigen etwas verboten hat: reich werden zum Beispiel. In der Verfassung wird jedem Menschen (nicht Schweden!) zugesichert, daß er im Prinzip (näheres regelt die Zaunhöhe) jedes Stück Land betreten darf, auch wenn es sich in Privatbesitz befindet. Nervös reagiert der Sozialstaat allerdings, wenn irgendwer öffentlich aus der Rolle fällt. Wenn Jugendliche in Stockholm Papierkörbe anstecken, ist das schon ein mittlerer Riot.

Der Schwede kann demzufolge immer nur nach innen richtig abdrehen, dort wo ihn kein Sozialarbeiter sieht. Der kann hinterher die leeren Flaschen zählen. Dieses nach innen rein gucken, während man draußen auch schon nichts mehr sieht (meist ist in Schweden Winter), hat Ingmar Bergmann uns schon als Kindern tiefdräuend im TV vorgemacht. Man war froh, wenn zu Hause geschrien und gezetert wurde – allemal besser als „Das Schweigen“.

Jetzt hat sich endlich ein Engländer um die Verfilmung der äußeren Hülle der empfindsamen schwedischen Seele gekümmert. Womit wir bei „Fannys Farm“ angelangt sind: Wenn in einem so leeren Land wie Schweden plötzlich zwei Motorradfreaks von ihrer Maschine steigen – er in Ledermontur, die scheinbar direkt an den Brusthaaren aufgehängt ist, sie in Klamotten, die beim Motorradfahren weder Nieren noch herausragende Körperteile effektiv schützen dürften – und auf einer Beerdigung erscheinen, wird es interessant. Zum Beispiel für Axel Flogfalt, der sich gute Chancen ausgerechnet hatte, den Landsitz Änglagård billig zu kaufen, dessen greiser Besitzer Erik bei einem für Schweden typischen Unfall umgekommen ist: Wie immer an diesem Wochentag treffen sich zwei Dorfbewohner zum heimlichen Landrover-Fick. Gleichzeitig jagt einer Kaninchen, schießt vorbei, trifft ein Auto. Das Auto brettert den Radfahrer und Farmbesitzer Erik um. Der hatte sich sowieso gerade nach einer schattigen Grabstelle umgesehen und sein Testament gemacht.

Aus diesem Todesfall resultiert ein munteres Hauen und Stechen in Sachen Erbfolge. Großgrundbesitzer Flogfalt, der die schwedische Verfassung scheinbar nicht kennt, will den Hof billig seinem kleinen Wald- und Wiesenimperium einverleiben. Enkelin Fanny steht aber zunächst als Erbin fest und läßt Flogfalt, der sich längst, wie alle Männer des Dorfes – egal wie alt und runzelig vom Arbeiten und schweren Nachdenken sie sind – in sie verknallt hat, bei den Verkaufsverhandlungen cool abblitzen. Noch cooler als Fanny ist ihr Freund und Beschützer Zac, der Ledermann, bei dem nie so ganz klar ist, ob er nun schwul, bi, oder doch einfach nur verkappt hetero ist. Als sich dann auch noch mehrere betagte Verehrer Fannys in einem Omnipotenzschwall für ihren Vater halten, geraten die Erbfolge und die Dorfidylle vollends durcheinander.

Der englische Regisseur Colin Nutley, der bisher neben zwei Spielfilmen hauptsächlich durch Fernsehserien auffiel, läßt ein komplettes Dorf komplett crazy werden. Die Hausfrauen organisieren einen Protestmarsch zur Farm, weil ihre Männer seit Fannys Auftauchen irgendwie verändert sind.

Als Fanny und Zac, die eigentlich nur von der Dorfgemeinschaft anerkannt sein wollen, dann auch noch aus Jux bekanntgeben, einen Nachtclub auf der Farm zu eröffnen, ist es ganz aus. Keiner will fortan no more auf Fannys Farm arbeiten. Nach einer Cabaret- Kostprobe, bei der Fanny halbnackt in der vollen Dorfkirche 'rumtanzt, versucht Per Ove, der heimliche Pornokonsument des Dorfes, in religiösem Wahn die Farm abzufackeln.

Das allein wäre alles nicht sehr lustig, wenn Regisseur Nutley nicht mit einem krude englisch- schwedischen Humorgemisch Tabula rasa machen würde. Dazu gesellt sich ein fernsehgerechter Sinn für einfache und schnelle Witze. Wer überdrehte, aber nett angerichtete Klischees in einer Bilderbuchlandschaft nicht mag, sollte allerdings lieber die Holzclogs anlassen und in die Sauna anstatt ins Kino gehen.

Die Schweden waren so begeistert, daß ihnen endlich einer einen lustigen Film drehte, in dem mal nicht geschwiegen wird, in dem es keine Mücken, Sozialarbeiter und Alkoholprobleme gibt, daß „Fannys Farm“ wochenlang für ausverkaufte Kinos sorgte. Im Hintergrund läuft natürlich Abba. Andreas Becker

„Fannys Farm“, Buch und Regie: Colin Nutley. Kamera: Jens Fischer. Musik: B. Isfält.

Mit: Helena Bergström, Rikard Wolff, Seven Wolter u.a. Schweden, Dänemark, Norwegen, 1992. 126 Min.