Bring doch den Uli rein

Wenn etwas wie Freundschaft anklingt – Fußball im Kino. Das große Geschehen in Amerika findet seinen Widerhall in aparten Filmreihen, zu denen die Menschen zusammenkommen. Do you remember Jürgen Sparwasser?  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die Fußball-WM führt die Menschen wieder zueinander und liefert lang entbehrte Bezugspunkte. Jeder spricht mit jedem, Nachbarn treten aus ihrer Anonymität, und selbst die, die allein in ihrer Wohnung sonst verkümmern, haben ihren Balkon mit Fahnen geschmückt, um sich mit den Menschen auf der Straße irgendwie zu verbünden. Der seltsame Mitfünfziger im Haus gegenüber läßt zudem noch vor jedem Spiel der deutschen Mannschaft sehr Schreckliches bekanntschaftsheischend auf die Kreuzung schallen, um zumindest die Gehörgänge der Leute da draußen zu berühren. („Rosamunde“ und „Life is live“, dreimal hintereinander!) Er selbst bleibt drinnen und wartet auf die kleinen türkischen Jungs in den Trikots der Unsrigen, die ab und an unter seinen Balkon kommen, um ihm neckend zuzurufen, daß Deutschland das nächste Spiel ganz bestimmt verlieren werde. Dann kommt er freudestrahlend raus und widerspricht.

Das Verdikt von Peter Weiss – „Fußball verdummend.“ (Notizbücher 1971–1980) scheint nicht mehr so recht zuzutreffen. Anstatt die Beherrschten zu verblöden, verbindet er sie und sprengt die Genregrenzen.

Ob es besonders schlau ist, wenn sich auch Theater und Kinos dem Fußball während der WM verschreiben, mag zwar dahingestellt sein; sie tun's jedenfalls allerorten. In den Animations-, Dokumentar- und Fiktionsfilmen geht es um Mannschaften, Torwarte, Linienrichter, Fans, um Loser, Gewinner oder auch einmal darum, wie sich Weltpolitik mit dem Privaten im Fußball verbindet.

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„Cup Final“, der dritte Film des israelischen Regisseurs Eran Riklis, spielt zum Beispiel während der israelischen Libanon-Invasion 1982. Cohen, ein israelischer Soldat, wollte eigentlich zur Fußballweltmeisterschaft nach Italien. Die Karten hatte er sich schon besorgt. Doch statt ins Stadion muß er widerwillig in den Krieg und wird von einem palästinensischen Kommando gefangengenommen. Die Grenzen zwischen dem Israeli und seinen Wächtern verwischen allmählich, denn Fußball verbindet. Natürlich klappt die Versöhnung nicht sofort. Zuweilen wird der Gefangene mißhandelt, und auf die schöne Hochzeit in einem palästinensischen Dorf, bei der Israelis und Palästinenser einträchtig miteinander tanzen, folgt das Schicksal, dem die Handelnden ohnmächtig ausgeliefert sind. Alle Palästinenser sterben in einem Feuergefecht; gebrochen bleibt der befreite israelische Soldat zurück.

„Cup Final“ gehört zu den ziemlich zahlreichen Filmen, in denen Sport für Höheres steht. Fußball ist hier Objekt eines freien privaten Interesses, das Menschen, die sonst ihrerseits Spielball der Weltpolitik sind, zusammenführt.

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Wie Neonazis sind auch gewaltbereite Fußballfans dankbares Sujet für Filmemacher. Die wenigsten Fernsehzuschauer und Kinogänger kennen welche persönlich. So bilden sich Mythen, die einige Fanfilme gerne unterstützen. Das preisgekrönte Dramolett „Ultra“ („Blutiger Sonntag“, 1990) des jungen italienischen Regisseurs Ricky Tognazzi setzt Maßstäbe in der Klischeebildung. Mit einem Messer im Bauch gehen die hübschen römischen Helden des Films noch lang nicht nach Hause. Sie sind so, wie sie sich der Hausverstand gerne vorstellt: sie kommen aus diffus schwierigen Elternhäusern, sind sexistisch, pissen aus fahrenden Autobussen, reißen Eisenrohre aus den Stadionklos, prügeln sich wild. Principe, ihr Anführer, kommt gerade aus dem Knast zurück und möchte randalemäßig weitermachen, während sein bester Freund aussteigen will und ihn zudem noch betrügt mit seiner schönen Freundin, die auftaucht, damit der Zuschauer auch Busen zu sehen kriegt. Es gibt einen sympathischen Dicken, dem sie die Hosen zum Schwanzvergleich runterziehen wollen, es gibt choreografierte Schlägereien mit Juve- Anhängern, die böse nazirockermäßig aussehen, und es gibt natürlich ein sehr tragisches und nachdenklich stimmendes Finale. „Ultra“ gleicht in Sachen Stereotypien der etwas vielschichtigeren Winkelmann-Schmonzette „Nordkurve“. Hier gibt es einen talentierten Nachwuchsspieler, der vor dem wichtigen Einsatz noch das Hotel verläßt, um mit einer Frau zu schlafen (wg. Busen), ehrliche Fußballfans und geldgierige, macht- und sexsüchtige Vereinsvorständler tauchen auf, ein unglaublich zynischer Reporter macht eine unglaublich zynische Radioreportage, extrem fiese Hooligans torkeln des Wegs.

Der junge Spieler, der sich zunächst so sehr aufs Spiel gefreut hatte, schmort auf der Reservebank, bis daß ein anderer ganz arg zusammengetreten wird. Da soll er reinkommen und weigert sich, als er die klaffende Wunde seines Kameraden sieht.

Statt zu spielen, torkelt er schockiert und einsam durchs leere Stadion, wird von romantisch-bösen Fans aufgelesen, die allerlei Schabernack mit ihm treiben (teeren und federn in menschenleerer Innenstadt) und kriegt am Ende doch eine schöne Frau.

Angesichts der unglaublichen Real-Ereignisse bei dieser Fußball-WM sollte man zwar vorsichtig sein mit einer Kritik, die sich auf die Andersheit der wirklichen Wirklichkeit beruft; Winkelmanns Film wirkt aber so ausgedacht und künstlich wie „Rollerball“. Doch im Gegensatz zu „Rollerball“ gibt es Fußball halt auch in der Wirklichkeit.

Dieser Realität am nächsten kommen komischerweise zwei Dokumentarfilme über den FC Bayern. In „Profis – ein Jahr Fußball mit Paul Breitner und Uli Hoeneß“ haben Christian Weisenborn und Michael Wulfes den Renommierverein durch die Saison 78/79 begleitet. Für den Film war die Saison ein Glücksfall: der Club befand

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sich im freien Fall nach unten, es gab unglaubliche Querelen zwischen dem damaligen Trainer Lorant und der Mannschaft, das schmähliche Ende der aktiven Fußballerkarriere von Uli Hoeneß eine im deutschen Profifußball einmalige und erfolgreiche Rebellion der Mannschaft gegen einen neuen Trainer (Merkel) und eine Art glorreiche Wiedergeburt. In den irritierenden Farben der 70er-Jahre- Bumsfilme berichtet der Film vom Alltag der Spieler und beobachtet auch komische Mitfünfziger, die ein Wochenende mit dem Edelreservisten Uli Hoeneß gewonnen hatten. Hoeneß und Breitner – zwei, die sich gerne haben – erzählen, manchmal im Doppelbett wie John Lennon und Yoko Ono, vom Umgang mit der toten Zeit eines Trainingslagers („Kartenspielen“), von den Erfahrungen einer langen Fußballkarriere – mit der Zeit lernt man, „wie man in jenes oder dieses Gemetzel hinein muß“, und von grandiosen Streitigkeiten. Wunderbar ist ein von Breitner kommentierter Ausschnitt des Spiels gegen Stuttgart, bei dem Bayern eine Viertelstunde vor Schluß mit 0:2 hinten lag. Wild gestikuliert Breitner da gen Trainerbank und ruft immer wieder verzweifelt nach einer Verstärkung des Sturms: „Uli, Uli“ ruft er sehnsüchtig und gen Trainer: „Bring doch den Uli rein, du Wahnsinniger!“ Doch der läßt sich nicht erweichen und bringt – offensichtlich, um Hoeneß total zu demütigen – einen Verteidiger.

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So ereignisreich war die Saison 92/93, in der Thomas Schadt den FC Bayern begleitete, zwar nicht, sein Film „Elf Freunde müßt ihr sein“ ist dennoch und trotz seiner Länge (120 Minuten) einer der besten, interessantesten, kurzweiligesten Sportfilme, die ich kenne. Gerade weil er sich auf den Beruf der Spieler, auf Training, Spiele, Umkleidekabinen und Trainingscamps beschränkt und die Privatsphäre seiner Helden respektiert, gelingt es Schadt, eine sehr seltene Intimität zwischen Protagonisten und Zuschauern zu erzeugen. Ohne die Möglichkeit, mit dem normalen Leben in Kontakt zu kommen, abgeschirmt im goldenen Käfig, eingezwängt von extrem rigiden Vorschriften, führen die Profis ein eher tristes Dasein. Die Freundschaft, die in „Profis“ zumindest als Utopie noch anklingt – wenn Breitner freudestrahlend nach der gelungenen Rebellion und einem unerwarteten 7:1 gegen Gladbach, in die Kamera sagt: „Jetzt gehen wir mit der ganzen Mannschaft einen saufen“ – erschöpft sich nun im notgedrungenen Zusammenspiel gegen einen Gegner, der „mir und meinen Kumpels die Punkte, das Geld und das Ansehen wegnehmen will“ (Bruno Labbadia). Aus den Spielern, die früher auch mal ansatzweise ausscherten, oder sich sympathischerweise übers Ohr hauen ließen, sind brave, disziplinierte Jungunternehmer geworden, die recht offen sagen, worum's ihnen geht: zum Beispiel, daß sie gegen Konkurrenten der eigenen Mannschaft auch schon mal im Training besonders hart einsteigen. „Damit ist die Sache für mich erledigt“ von Jacques Annaud ist eine sympathisch-oberflächliche Ab- und Aufstiegskomödie um einen dreitagebärtigen Provinzstürmer; „Wie der Fußball nach Georgien kam“ ist ein freundlich-melancholischer Film mit starken Männern, spitteligen Torwarten, herrlichen Kleinstadtbildern und einigen Slapstickelementen, und in dem genialen surrealistischen Kurzfilm „Mannhafte Spiele“ von Jan Svankmajer metzeln sich sehr seltsam animierte Spieler (wo die Nase war, ist ein Wasserhahn) der gegnerischen Mannschaften nieder.

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Der Höhepunkt ist wahrscheinlich ein „echtes“ Fußballspiel. Nach langwierigen Verhandlungen ist es den Organisatoren jedenfalls gelungen, sich die „sozialistisch kommentierte Fassung“ des sensationellen WM-Siegs der DDR gegen die BRD zu besorgen. Wer will, kann sich noch einmal das entscheidende Tor von Jürgen Sparwasser anschauen, der übrigens bei der letzten WM etwas ungelenk – also sehr sympathisch – im „Ford Halbzeitstudio“ durch die Wunderwelt führender Automobile geführt hatte. Ob er in die „Volksbühne“ am Rosa-Luxemburg- Platz kommen wird, um sich neben achthundert erwarteten Zuschauern noch einmal das Kultspiel anzuschauen, ist fraglich. Zugesagt hat ein anderer – Florian Oertel, der das Spiel damals fürs DDR- Fernsehen kommentiert hatte, und vielleicht schaut auch „Mäcki“ Lauck vorbei, der damals sowohl Overath als auch Netzer ausgeschaltet hatte und heute, wie die SZ zu berichten weiß, vor allem gern viel Bier trinkt.

Fußballreihen in jedem besseren deutschen Kintopp. In Berlin noch bis zum 20. Juli im Babylon (Mitte), Tel. 030/242 59 69