Kompromiß statt Kapitulation

■ Bill Clinton vermittelt zwischen Rußland und dem Baltikum

Riga (AP/taz) – Zum Auftakt seiner achttägigen Europareise ist US-Präsident Bill Clinton am Mittwoch morgen in Lettland eingetroffen. Den in Riga versammelten Staatspräsidenten der drei baltischen Staaten teilte er mit, daß es Fortschritte bei den Verhandlungen über den Abzug der noch in Estland und Lettland verbliebenen russischen Truppen gebe. Der russische Präsident Boris Jelzin habe ihm in einem Telefongespräch unmittelbar vor seiner Abreise versichert, daß er den Rückzug wolle. Zugleich sagte Clinton finanzielle Unterstützung bei der Durchführung des Truppenrückzugs zu.

Bei dem Telefongespräch wollte Jelzin nach Moskauer Angaben aber auch die Aufmerksamkeit Clintons auf „die nicht enden wollende Verletzung der Rechte der russischen Bevölkerung in Lettland und Estland“ lenken. Wenn die baltischen Staaten „diskriminierende Gesetze“ aufhöben, würde Rußland sich zur Festlegung eines Zeitplans für den Abzug seiner Truppen bereit erklären. Eine in Riga erscheinende russische Zeitung druckte zum Besuch Clintons ein Flugblatt mit der Überschrift „Willkommen im Land der Apartheid“ ab. Rund 1.000 Russen demonstrierten vor der US-Botschaft in Riga. Dabei gab es Zusammenstöße mit lettischen Nationalisten.

Eine Differenzierung der „Ostpolitik“ Washingtons ist nach Auskunft von Regierungsbeamten das Hauptziel der Gespräche, die Clinton in den kommenden Tagen mit seinen osteuropäischen Partnern führen wird. Doch während gerade die Balten von den USA eindeutige Unterstützung bei ihren Verhandlungen mit Moskau erwarteten, wies der US-Präsident auch auf die Interessen der russischen Bevölkerung im Baltikum hin. In der Frage des Truppenrückzugs aus Estland soll ein Kompromiß gefunden werden, der von den Esten nicht als Kapitulation ausgelegt wird. Eine Verknüpfung des Rückzugs mit den Staatsbürgerschaftsrechten der Russen lehnt Clinton jedoch ab.