Mignon verwirklicht Träume

■ „Wir leben mit einer Poesie“: Ein Zirkus mit behinderten und nichtbehinderten Artisten gastiert auf der Moorweide Von Tammo Löffler

„Pepina ist fort ... wo ist Pepina?“ Gebannt schauen die kleinen und großen ZuschauerInnen im Circus Mignon, der auf der Moorweide am Dammtorbahnhof gastiert, in die Manege. Die vier Fabelwesen Stier, Adler, Wassermann und Löwe haben Pepina entführt und in den Wundervogel Aurox verwandelt. Nun versuchen Pepinas Freunde sie mit „circensischen Künsten“ wieder aus dem Bann der Fabelwesen zu befreien.

Die behinderten und nichtbehinderten ArtistInnen bieten im Zirkuszelt all ihr Können auf. Ob mit einer Ballbalance auf Hüpfbällen, Jonglage mit und ohne Einrad, Figuren mit Hochrädern, Clownesken oder der traditionell „zersägten Frau“ (wie, verdammt noch mal, geht denn dieser Trick?). Doch nicht nur Zirkuskunst haben die ArtistInnen im Sinn. Sie nehmen die Situation von Behinderten selbstironisch aufs Korn. So kommt, kaum daß die Vorstellung begonnen hat, ein alter Mann im Rollstuhl samt Krankenschwester ins Zelt und pöbelt, „man soll doch mal Platz für ihn als Behinderten schaffen“. Doch auf dies motzige Verhalten reagiert ein ebenfalls gespielter Zuschauer natürlich unfreundlich und bietet den Platz nicht an. Neu im Programm ist die Seiltanzakrobatik. Leichtfüßig tänzeln die kleinen KünstlerInnen über den schmalen Draht.

Die Mitglieder des Circus Mignon, der sich im Rahmen eines integrativen Kinder- und Jugendprojektes der heilpädagogischen Einrichtung „Haus Mignon“ gründete, sind AutodidaktInnen: Nicht nur daß sie sich alle akrobatischen Übungen in Zusammenarbeit mit ihren BetreuerInnen (“die waren uns nur immer eine halbe Stunde im Können voraus“) selbst beigebracht haben, auch Kostüme und Musik (von Geige über Posaune bis zum Schlagzeug und Keybord) sowie die gesamte Technik werden von den rund 70 Mitwirkenden selbst produziert und verwaltet.

„Wir sind alle Lernende“, meint Zirkusdirektor Martin Kliewer. „Mit diesem Projekt haben wir uns einen Traum verwirklicht, wir leben mit einer Poesie“. Angefangen hat dieser Traum 1992. Damals fingen in einer Turnhalle zehn behinderte Kinder und Jugendliche damit an, Balanceübungen auf dem Schwebebalken zu machen. Durchs Fenster schauten damals auch nichtbehinderte Kinder zu, die von der Idee, Zirkusarbeit zu betreiben, so begeistert waren, daß sie fragten, ob sie nicht mitmachen dürften. Nach und nach entstand dann ein richtiges Zirkusprogramm, das sie im vergangenen Jahr in Hamburg und Schleswig-Holstein zeigten.

Jetzt geht der Circus Mignon mit der zweiten Produktion und seinem Zirkustraum wieder auf Tournee. Ab Mitte Juli wird Niedersachsen unsicher gemacht. Mit Feldküche, Zirkuswagen und der ganzen Ausrüstung stellt diese Reise den Höhepunkt des Jahres für die Kinder und Jugendlichen dar. Ende September zeigen sie ihr Werk dann beim internationalen Kinder- und Jugendzirkusfestival in Köln.

Wer wissen will, ob die Freunde von Pepina es geschafft haben, sie aus dem Bann der Fabelwesen zu entfesseln, kann sich noch die Vorstellungen des Circus Mignon auf der Moorweide am Dammtorbahnhof am heute um 19.00 Uhr, am Sonnabend um 15.00 und 19.00 Uhr, und am Sonntag um 15.00 Uhr anschauen.