Rattenkeller Grundbuchamt

■ „Unmenschliche Zustände“ im Amt / Teure Flucht zum Eduschokönig

Was hat dieser blasse Mann mit der pergamentenen Haut und den ebenso dünnen Haaren verbrochen, daß er schon Jahre in den Katakomben des Landgerichts sitzt? Eigentlich nichts, und eigentlich müßte er wie eins dieser hybriden Bodybuilding-Exemplare aussehen, denn der Mann ist Mitarbeiter des Grundbuchamtes. Täglich trägt er zentnerweise heiligste Eigentumsbelege nach oben, schwitzt unterm Dokumentenjoch.

Dick dürfte der amtlich verbannte Unterweltler nicht sein. Die Gänge zwischen den Regalen werden immer schmaler, die Akten drohen, über ihm zusammenzuwachsen. „Hier müssen wir einen ganzen Stadtbezirk umhängen“, stöhnt eine Rechtspflegerin, „und das heißt: 30 bis 40 Meter Akten verrollen.“ Wird ein Haus plötzlich in Eigentumswohnungen aufgeteilt, bringt das vier, ja, zehn Grundbücher mehr, und das sind 40 Zentimeter. Wo die noch auftun? Was, wenn nochmal ein Wohnviertel aus dem Acker explodiert wie Habenhausen oder Oberneuland. Wohin mit den Zeugnissen der freigewordenen Scholle?

Allein 150.000 „laufende Akten“ ruhen im Keller, mal ganz zu schweigen von Vorbänden und geschlossenen Akten, die im „Rattenkeller“ liegen, wohin sich keine Frau mehr traut. Jeder Gang, jede Nische ist belegt mit Regalen, die sich altersschwach gegen bröselnde Wände legen, ächtzend unterm Gewicht ledergebundener Höferollen, sütterlinbeschrifteter Kladden und moderner Hängeordner, auf welche das System umzustellen mehr als zehn Jahre in Anspruch nahm.

„Das Grundbuch“, stöhnt Amtsgerichtspräsident Rüdiger Tönnies, „platzt aus allen Nähten.“ Seit 1900 ist über jedes Grundstück, alle darauf befindlichen Gebäude sowie darauf befindliche Hypotheken Buch zu führen. So bleiben Wegerechtsänderungen selbst nachvollziehbar, wo gar kein Weg mehr ist, nachbarliche Fensterstreits überlebten im Dokument: Im Grundbuch, einer Art Kurzprotokoll aller Vorgänge, und in der davon getrennt aufzubewahrenden, die Originale enthaltenden Grundakte. Warum die doppelte Buchführung, versteht, wer der Feuersbrunst gedenkt, die weiland bei Bremerhaven an die 1000 Blattsammlungen vernichtete. „Hier bei uns ist noch nie was weggekommen, versichert eine Mitarbeiterin. Dies, obwohl täglich mehr als 800 Akten aus den Gewölben befördert werden müssen. Jährlich werden kanpp 60.000 Anträge auf Einsicht gestellt, eine steigende Zahl, wenn die Baukredite günstig liegen oder, wie im vergangenen Jahr, Steuerrechtsänderungen neue Abschreibungsmöglichkeiten eröffnen.

Dann beginnt die lange Odyssee der Dokumente durch die kafkaesk anmutenden Amtsstuben, die mit Möbeln aus den 60ern vollgestellt sind. Schleiflackierte Tristesse umgibt die MitarbeiterInnen, die hinter Aktenbergen verschwinden, um selbige treppauf, treppab durch ein kompliziertes Unterschriftsverfahren zu lenken. Pater noster, möchte man ausrufen, doch nicht einmal der steht zur Verfügung.

Amtsgerichtspräsident Tönnies sieht Handlungsbedarf. Der Dienstherr mag den 50 Untergebenen, die der Justiz ihre Bandscheiben opfern, das Versetzen der Aktenberge nicht länger zumuten. Von einem Umzug in die Hans–Böckler–Straße verspricht er sich ein Ende der Enge und der „unmenschlichen Arbeitsbedingungen“. Das umgebaute, zum Imperium des Kaffeerösters Rolf Schopf (Eduscho) gehörige Lagerhaus bietet mit 3000 Quadratmetern um ein Drittel mehr Platz als das Landgericht.

Das Grundbuchamt muß in Gerichtsnähe bleiben, schimpft indes die CDU und bemängelt die steigenden Personalkosten, die durch die Zersplitterung der ohnehin schon auf neun Standorte verteilten Bremer Justiz entstehen. Ist der mit 1,2 Millionen veranschlagte Umzug überhaupt notwendig, warum wird das mittlelalterliche Grundbuchsystem nicht auf EDV umgestellt, so wie es die Gesetzgebung seit Ende 93 vorsieht? Es fehle, erklärt der Jurist, die Software zur Umsetzung.

Tatsächlich aber gibt es andernorts, zum Beispiel in München, längst computergesteuerte Grundbuchämter. Ein Bremer Phänomen also, so bremisch, wie die 3,5 Millionen Subventionen, mit der die Stadt sich bei Rolf Schopf für dessen Heimkehr revanchierte? Niemand wird bestreiten, daß die Arbeitsbedingungen im Grundbuchamt verbessert werden müssen. Aber viele BürgerInnen werden fragen, ob sich hinter dem Umzug in die jährlich eine halbe Million Miete schweren Schopfgemäuer nicht noch ein Kotau vor dem Eduschokönig verbirgt. Schhlußendlich: An einer Umstellung auf EDV kommt langfristig auch Bremen nicht vorbei. Dora Hartmann