Eine Schule für John Lennon

Gymnasium in Mitte wird als erste Schule Deutschlands nach der Legende benannt / Brandt und Hemingway zogen beim Namenspoker den kürzeren  ■ Von Frank Kempe

Eine Riege altehrwürdiger Herren aus Kunst und Politik stand auf der Wunschliste der Lehrer und Eltern: Mit Namen wie Willy Brandt, Erich Kästner, August Bebel oder Ernest Hemingway befanden die acht Erwachsenen der außerordentlichen Schulkonferenz, solle sich das Zweite Gymnasium in Mitte gefälligst schmücken. Doch die vier Schülervertreter in dem Gremium schalteten auf stur und schickten prompt Bob Marley als Kandidaten ins Rennen. Nach dem Scheitern des Reggae-Gurus stellten die Pennäler trotzig einen Rockstar und Friedensapostel zur Wahl: John Lennon, und die Eltern und Pauker gaben entnervt auf.

Nach fast einjährigem Namenspoker wird die an der Zehdenicker Straße gelegene Lehranstalt am kommenden Dienstag in John- Lennon-Oberschule getauft. Als erste Penne in ganz Deutschland trägt sie dann den Namen des legendären Plattenmillionärs und Friedensstifters, der am 8. Dezember 1980 von dem geistig verwirrten David Chapman in New York erschossen wurde.

Die Taufparty ist voll und ganz auf den zu ehrenden Meister zugeschnitten: Schülerbands werden das graue, dreistöckige Schulgebäude mit allerhand angestaubten „Beatles“-Klassikern und Solo- Hits Lennons vibrieren lassen. Geplant sind auch Vorträge und eine Video-Dokumentation von Pennälern über dessen Leben und Werk. Nach einer Modenschau der sechziger und siebziger Jahre referiert ein Musikwissenschaftler der Humboldt-Universität über den „Nowhere Man“.

Mit der Namensgebung, schrieb die Schulleitung in ihrem Antrag an die Senatsschulverwaltung und das Bezirksamt, solle ein Mensch geehrt werden, „der für viele in unserem Land ein Bote für ein anderes Lebensgefühl, Weltoffenheit, Frieden, Gleichberechtigung und Demokratie war“. Die Schule, heißt es dort weiter, „entließ ihn als Versager“. An ihm werde deutlich, daß Schule nur eine Brückenfunktion übernehmen könne. „Tut sie das, wird vieles, was sie vermitteln kann, auch bei den Versagern noch Wirkung zeigen, muß es keine Versager mehr geben.“

Auch sei der Liverpooler aus einem Großstadtmilieu gekommen, „das unserem sehr ähnlich ist“. Ferner dämpfe seine Musik Gewaltpotential und sei „Mittel der Selbstverwirklichung und Selbstfindung“, argumentierten die Antragsteller um Rektor Karl-Heinz Firtzlaff, die sich zuvor bei der Lennon-Witwe Yoko Ono die Erlaubnis zur Namensgebung eingeholt hatten.

Mit Lob geizten die Schuloberen wahrlich nicht. Doch auch wenn es so klingen mag – richtig überzeugt von der Namenswahl dürfte der 46jährige Rektor heute noch nicht sein. Denn über fast ein Jahr, klagt Musiklehrerin Lieselotte Reznicek, hätten sich die Schulleitung und die Mehrheit der Pädagogen gegen den Wunsch der Schüler gestemmt – zum Teil mit unlauteren Mitteln: Oberlehrerhaft hätten sie sich immer wieder vor ihre Klassen gestellt und die Schüler mit erhobenem Zeigefinger gewarnt, mit dem Namen auf dem Abgangszeugnis hätten sie später auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Insofern, sagt die ehemalige Frontdame der ersten DDR- Frauenband „Mona Lise“, sei es schon „revolutionär“, wie sich die Kids gegen die erwachsenen Widerständler durchgesetzt hätten. „Das war richtig Krieg“, meint die 39jähriger Ex-Rockerin, die den Schülern John Lennon vorgeschlagen hatte.

Noch Monate nachdem sich die Schulkonferenz schon einmal für das Musikgenie ausgesprochen und das Haus Klemann den Antrag abgesegnet hatte, ergänzt Mathe-Lehrer Ekkehard Keidel, hätten Kollegen die Klassenzimmer abgeklappert: „Überlegt euch das besser noch mal.“ Eine demokratische Entscheidung sei „einfach umgeschmissen worden“. Aber: Die neuerliche Abstimmung brachte das gleiche Ergebnis. Sicherlich sei Lennon, räumt der 30jährige Pädagoge ein, für den einen oder anderen Siebtklässler ein Unbekannter. „Doch wer kann schon etwas mit dem Namen Bertha von Suttner anfangen?“

Mit der eher ungewöhnlichen Namenswahl des Zweiten Gymnasiums kommt womöglich Schwung in die verschnarchte Berliner Schullandschaft. Während die Schulen in den Westbezirken meist auf berühmte Dichter und Denker wie Heinrich Heine, Johann Wolfgang von Goethe oder Albert Einstein setzten, stehen viele Ost-Pennen noch gänzlich ohne Namen da: Sie wurden nach der „Wende“ von den Bezirken einfach durchnumeriert. Zum Musik- und Showgeschäft bekennt sich in Berlin übrigens nur eine Steglitzer Sonderschule, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nach dem TV-Entertainer Peter Frankenfeld benannte.

In den Klassenzimmern an der Zehdenicker Straße ist Lennon dennoch nicht unumstritten. Zumindest bei einigen Schülern scheint die Kampagne der Lehrer, die Ängste vor der Arbeitslosigkeit schürte, angeschlagen zu haben. Wie der Zehntkläßler Marcel Sroczynski wirken auch etliche andere Schüler verunsichert. Immerhin meint der 17jährige, inzwischen bekennender Brandt-Fan: „Es hätte schlimmer kommen können.“ Auch Franziska Becker (16), die Musik und Tanz über alles liebt, findet es gerade einmal „nicht schlecht“. Unlängst hat sich aber eine Anti-Lennon-Front gebildet. Sie sprühten in riesigen Buchstaben an die Schulhofmauer: „Scheiß Hippie-Schule“.