Windige Zahlenschwindelei

■ betr.: „Ist der Langzeitstudent nur ein Mythos?“, taz vom 24.6.94

Auch ich habe den blauen Brief der FU bekommen; ich werde ihn einrahmen. Meine Zeit verplempere ich mit Zeitunglesen, Kaffeetrinken in der Uni, Taxifahren und schaue ansonsten zu, wie mein Sohn (sechs Monate) wächst. Ich liege allen Steuerzahlern von Flensburg bis Oberhofen auf der Tasche und bin ein asozialer Schnösel. Ich kenne mich also aus mit dem Thema und will mit einer windigen Zahlenschwindelei aufräumen.

Ich brüte schon seit langen Semestern über der brisanten Frage, warum Langzeitstudenten für die Überfüllung der Seminare verantwortlich sind: Angeblich würde ja eine allgemeine Verkürzung der Studienzeiten zur Entlastung der Veranstaltungen beitragen. Oh ihr Milchmädchenpolitiker! Ihr glaubt wohl, daß auch alle in Ehren ergrauten Studis nebenbei noch 30 Semesterwochenstunden (SWS) belegen und den so überaus nachgefragten Profs den Weg zum Podest versperren! Dazu sind wir uns viel zu schade: Wir karren die Herren Wissenschaftler mit dem Taxi von ihren Villen zum Flughafen und sehen die Universität öfter von draußen als von drinnen, und im Sommersemester 1990 haben wir sowieso alles sausen lassen, als Kamerun die Vorrunde der Fußball-WM überstanden hatte.

So viel habe ich von den in Urzeiten genossenen Mathestunden doch noch in Erinnerung, daß einer, der sich 20 Semester lang im Schnitt vielleicht acht Stunden dem Faszinosum eines professoralen Diskurses aussetzt, nur (Taschenrechner raus, Moment...) 160 SWS lang die Infrastruktur der Bildungseinrichtung Universität in Anspruch genommen hat; so ein echter Turbostudent schafft diese Zahl locker in seinen acht Regelsemestern mit 20 SWS. Und nur die tatsächlich an der Uni verbrachten Stunden zählen doch! Wer immer friedlich frühstückt, ist nicht um acht Uhr in Dahlem.

Allerdings gestehe ich ein, daß meine Karteikarten zweieinhalbmal solange in irgendwelchen Kästen Platz weggenommen haben und längst vergilbt sind, beziehungsweise daß meine Daten teuren Computerspeicherplatz belegt haben und die Rechner beim Hochzählen meiner Semesterzahl vielleicht das eine oder andere Mal heißgelaufen sind – aber diese Art der Überlastung universitärer Strukturen wird ja gar nicht angeprangert.

Weg also mit dem Geschwafel vom Kausalzusammenhang zwischen Überfüllung der Universitäten und langen Studienzeiten! Nichts ist unzutreffender. Wir machen den Stuhl gern frei für die Eiferer, die uns sowieso nur bezahlen müssen, wenn sie ihr Examen mit Bravour bestanden haben, schwejksch, wie wir sind. Zeigt mit dem Finger auf die Studenten, deren Studium viele Semesterwochenstunden lang dauert, die sind schuld, daß man Stühle zusammenklauben muß, wenn man sitzen will. Aber ihr könnt keine finden, die hochsemestrigen Studis verteilen ihre lernbegierige Anwesenheit bloß über mehr Semester.

Liebe tazler, Ihr beweist in Euren Artikeln zum Gegenstand mehr Sensibilität als andere Zeitungsleute. Aber diese simple Rechnung habt Ihr auch nicht aufgestellt, und das hat, soweit ich weiß, noch keiner. Hartmut Riedel