Der Lehrling am Weltwirtschaftstisch

■ Japans Premier Murayama hat in Neapel seinen ersten internationalen Auftritt

Tokio (taz) – Nicht jeder traut es sich mit 70 Jahren noch zu, eine neue Berufsausbildung zu beginnen. Doch dem neuen japanischen Premierminister Tomiichi Murayama blieb keine andere Wahl: nur sieben Tage nach seiner Amtseinführung stand in Neapel der Weltwirtschaftsgipfel vor der Tür. Volle acht Stunden pro Tag begab sich Murayama vor seiner Abreise in Klausur. Er studierte internationale Wechselkurse, die Geldpolitik der Zentralbanken und die Hilfspolitik für Südafrika, alles Themen, die den Politiker Murayama – Fachgebiet japanisches Rentensystem – in seiner langen parlamentarischen Laufbahn nie beschäftigt hatten. Die japanischen Ministerien mußten für die Schnellstudien ihres Chefs die besten Beamten aufbieten. Erst am Mittwoch, dem Abreisetag, erteilten sie Entwarnung: „Murayama wird es in Neapel schaffen!“

Natürlich hatte es sich der gestandene Sozialdemokrat und Gewerkschaftsführer Murayama nie träumen lassen, daß er in dieser Woche am Tisch der vielleicht mächtigsten Männer dieser Welt Platz nehmen würde. Nur fünfmal in seinem Leben hat Murayama bisher das Ausland bereist – jedesmal auf einer Gruppentour. Jetzt muß Murayama gleich als japanischer Delegationsleiter in Neapel auftreten. „Ich will versuchen, den anderen Staatschefs die Sorge über die wiederholten Regierungswechsel in Japan zu nehmen“, versicherte der Gipfelnovize brav. Die aber werden Murayama bei seinem ersten internationalen Auftritt kaum aufs Korn nehmen. „Niedrige Erwartungen sind für einen Politiker wie Murayama das beste Kapital“, glaubte Yasunori Sone, Politologe an der Tokioter Keio-Universität.

Tatsächlich haben die gegenüber Japan stets streitlustigen Amerikaner ihre wirtschaftspolitischen Forderungen während der letzten Tage zurückgeschraubt. Eigentlich sollten der US-Präsident und der japanische Premierminister vor Beginn des Gipfels eine bilaterale Handelsvereinbarung für den Bereich des Versicherungswesens aushandeln. Schmollend gewährten die Amerikaner Murayama Aufschub.

Und auch aus einem anderen Grund ist Murayama in Neapel nahezu unantastbar: Jede Kritik am japanischen Handelsüberschuß, die mit der neuen Regierung in Tokio zu Spannungen führen würde, könnte den steigenden Yen auf den Währungsmärkten weitere Stärke verleihen und den US-Dollar entsprechend schwächen. Sinn des Gipfels aber ist es, genau das zu verhindern. Denn schon jetzt gefährdet der schwache Dollar den Wirtschaftsaufschwung in den USA, so wie der starke Yen die Rezession in Japan zu verlängern droht.

So wird sich Murayama in Neapel darauf beschränken, weitere Steuersenkungen und höhere Infrastrukturausgaben in Japan in Aussicht zu stellen – ohne dabei freilich konkrete Zahlen zu nennen. Falls es dann noch zu Zwischenfragen kommt, wird Murayama hoffentlich einen kundigen Mitarbeiter zur Seite haben. Georg Blume