Der Gast aus Peking ist auf der Flucht

■ Die liebsten Deutschen sind dem chinesischen Diktator Li Peng natürlich jene, die wissen, was sich gehört: Leute wie Klaus Kinkel, Edmund Stoiber und die Vorstandsvorsitzenden der Industrie, ...

Die liebsten Deutschen sind dem chinesischen Diktator Li Peng natürlich jene, die wissen, was sich gehört: Leute wie Klaus Kinkel, Edmund Stoiber und die Vorstands-

vorsitzenden der Industrie, die zur rechten Zeit schweigen. Den Gefallen taten ihm die Kritiker der Menschenrechtsverletzungen gestern in deutschen Städten nicht.

Der Gast aus Peking ist auf der Flucht

Wenn der chinesische Ministerpräsident Li Peng Samstag nachmittag Deutschland Richtung Bukarest verläßt, wird er sich die Hände reiben. Die deutsche Industrie hat, indem sie fleißig Verträge über Milliardeninvestitionen unterzeichnete, vorgeführt, daß die permanente Verletzung der Menschenrechte in China ein marginales Problem für die deutschen Wirtschaftsführer ist. Auch bei seinem heutigen Besuch bei der Deutschen Aerospace Dasa (Daimler-Benz) und in den Forschungslabors von Siemens wird Li Peng nicht mit Menschenrechtsproblemen belästigt werden. „Das Thema steht bei uns nicht auf der Tagesordnung“, so Siemens-Pressesprecher Rolf Huber, „dafür die Unterzeichnung von zwei Verträgen über die Lieferung von Kohlekraftwerken.“

Vielleicht wird sich Li Peng in seinem Flugzeug nach Bukarest fünf Minuten lang über die deutschen Politiker ärgern, die es nicht geschafft haben, ihn von den paar hundert Demonstranten, die ihn überall begrüßten, abzuschirmen. Aber er wird sie, wie kürzlich auch in Toronto, als innenpolitisches Problem verbuchen. In China jedenfalls wären sie mit Arbeitslager bestraft worden. Dort hätten sich dann die 30 Mitglieder der Tibet- Initative Deutschland getroffen, die am Montag in der Bonner Innenstadt T-Shirts mit dem Aufdruck „Free Tibet“ hochhielten. Ein Paar Stunden später wären noch etwa 200 Menschen dazugekommen, die auf dem Bonner Münsterplatz und während Li Pengs Fahrt auf dem Rhein am Ufer Transparente mit der Aufschrift „Kein roter Teppich – rote Karte für Li Peng“ entrollten. Mit den insgesamt etwa 500 Potsdamer, Berliner und Weimarer Demonstranten, die vorgestern und gestern Li Pengs Weg säumten und derenthalben er sein Besuchsprogramm verkürzte, würde das Arbeitslager schon etwas voller werden. Und nicht nur mit Studenten der „Föderation für ein demokratisches China“ und Sympathisanten von amnesty, der Jungen Union, des Bündnis 90/ Die Grünen, sondern auch mit namhaften Wissenschaftlern und Politikern.

Zum Beispiel mit dem Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU). Der meinte nämlich gestern, daß kein noch so gutes Geschäft die „Schlächterei“ auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor fünf Jahren vergessen machen könne. Dies bleibe ein „Brandmal im Gesicht der Regierenden in China“. Oder mit dem Bundestagsabgeordneten Klaus Kübler (SPD), der China als „brutale kommunistische Diktatur“ bezeichnete, mit der man keinen Handel treiben sollte. Oder mit Michel Friedmann, Stadtverordneter in Frankfurt und Mitglied im Zentralrat der Juden, der mit 26 CDU-Politikern einen Brandbrief gegen die Menschenrechtsverletzungen in China veröffentlichte. „Die deutschen Investitionen stabilisieren die Diktatur“, so Friedmann zur taz.

Li Peng läßt all das, so hat es den Anschein, kalt. In Berlin brüskierte er den Regierenden Bürgermeister Diepgen, indem er ihn am Brandenburger Tor warten ließ. Er honorierte nicht Diepgens Kotau, der beim Essen am Abend zuvor folgenden Satz in seiner Tischrede wegließ, die zuvor in schriftlicher Fassung verbreitet worden war: „Ohne die Freiheit des Willens und der Meinung kann es keine Freiheit des Marktes geben.“ In Weimar beendete Li Peng seinen Besuch drei Stunden früher als geplant. „Er habe sich an den Pfiffen der Demonstranten vor dem Goethehaus gestört“, erklärte die Protokollchefin Erika Caesar.

Zuvor hatte es einen – Weimar ehrenden – Eklat gegeben. Der Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, Bernd Kauffmann, kürzte im Unterschied zu Diepgen sein Redemanuskript nicht. Sein Vortrag im Goethe-Haus, das Li Peng unbedingt sehen wollte, begann mit dem Satz: „Dieses Haus ist Stein gewordenes Zeugnis der deutschen Klassik, eines Denkens und einer Haltung, die der Würde, der Freiheit und der Unverletzlichkeit der Person aufs tiefste und höchste verbunden ist.“ Nach diesem Satz endete auch schon der Vortrag, weil Li Peng erklärte, er wolle das Haus lieber ohne Rede genießen. Kauffmann verließ daraufhin sofort den Raum.

In München fand Li Pengs Protest gegen deutsche Politiker schon im Vorfeld statt. Er werde den Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) heute nicht begrüßen, erklärte der Diktator schon vorgestern. Ihm war zu Ohren gekommen, daß der OB die Proteste der Münchner Bevölkerung nicht verhindern will. Da sind Li Peng doch solche Politiker wie Außenminister Klaus Kinkel lieber, der ihm diskret eine Gefangenenliste mit 30 Namen überreichte. Und natürlich Edmund Stoiber und die Vorstandsvorsitzenden der Industrie. Die wissen nämlich, was sich gehört. Schweigen ist Gold. Anita Kugler