Ohropax

■ Verbringen Sie eine Nacht mit Fanny M.

as geht so: Um 23 Uhr geht Frau M. ins Bett, nachdem sie das Fernsehprogramm nicht gekuckt hat. Sie vergißt, das Telefon leise zu stellen. Frau M. macht es sich gemütlich und greift zu einem philosophischen Werk. Aus dem Treppenhaus ertönt ein Ächzen. Der Bademeister kommt vom Bademeistertreff. Er hat es mit dem Herzen. Frau M. überschlägt das Vorwort und beginnt mit dem ersten Kapitel. Quietsch-klirr, quietsch-klirr. Slatka trägt ihr Fahrrad in den zweiten Stock, um es dort anzuketten. Sie hat Spätschicht bei Palmolive gehabt. Das Fahrrad fällt einmal hin. Frau M. liest: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Nun läßt Frau K. Trixi noch einmal zum Urinieren in den Garten. Trixi bellt das Universum an. Frau M. schließt das Fenster. Frau M. fehlt die rechte Konzentration. Sie tauscht den Philosophen gegen Agatha Christie ein.

Schon auf Seite 2 findet die bildschöne Lady Attenborough die Leiche des Butlers im Jagdzimmer. An der Haustür findet Dieter, der Videofreak, das Schlüsselloch nicht. Jetzt hat er es doch gefunden. Bampbampbamp kommt er die Treppe hoch. Schepper! Jetzt sind die Kassetten runtergefallen. Dieter war beim Video-Treff. Gleich ist er bei der zweiten Stufe von oben angekommen, die einen Tick kürzer ist als die anderen. Kawumm. Jetzt ist er auf die Fresse geflogen. Dieter hat es schwer mit der Leber. Frau M. hat es mehr mit den Ohren. Sie wirft einen Blick in die Ohropax-Dose. Es sind noch vier Stück da. Sie beschließt, noch etwas zu warten. Der Punker-Bunker hat heute noch nichts von sich hören lassen.

Inzwischen ist ein gutaussehender Major auf Attenborough-Castle eingetroffen. Unklar ist, ob es sich um den verschollenen Erben oder um einen Verbrecher handelt, der schon einmal in der Maske eines Pferdeknechts... Das Telefon läutet. Frau M. lauscht einige Zeit. „Nein“, sagt sie dann höflich, „ich habe meine Strapse gerade nicht an und ficken tun Sie sich am besten selber. Mein Vorschlag: ins Knie.“ Jetzt wird es langsam Zeit für den Beruhigungstee. Frau M. erhebt sich und setzt das Wasser auf. In der Küche eine Etage höher wirft Jens der Wirtschaftsprüfer (“Ich bin noch immer ein Single“ Zwinker-Zwinker) seine Waschmaschine an. Bei Frau M. läutet das Telefon. Sie weiß schon, wer anruft: Renate von unten. „Nein, das bin nicht ich, das ist der über mir.“ Das Wasser kocht, das Telefon läutet jetzt oben. Frau M. geht mit einer Tasse Kräutertee ins Bett. Agatha Christie ist jetzt doch zu schwierig. Frau M. greift zur Hamburger Morgenpost. Ihr Horoskop empfiehlt, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen und sich durch Kleinigkeiten nicht irritieren zu lassen. Die Punks stellen jetzt ihre Anlagen auf die Fensterbänke. Pink Floyd. Das geht ja noch. Im Hamburg-Teil vermeldet die Morgenpost, daß das Leben im Schanzenviertel bunt und abweglungsreich ist. Frau M. schreibt auf einen Zettel „Isomatte ins Büro mitnehmen“ und macht das Licht aus.