: Strahlentherapie rechtswidrig?
■ UKE: Neues Berliner Gutachten / Klärt der Arzt nicht umfassend auf, kann der Patient sogar gegen eine korrekte Behandlung klagen Von Sannah Koch
Zu hoch oder zu häufig bestrahlt, eine unkonventionelle oder gar unerforschte Strahlentherapie angewendet – all diese Fragen könnten im sogenannten UKE-Strahlenskandal jetzt in den Hintergrund treten. Ein neues Rechtsgutachten des Berliner Professors Dieter Giesen (Arzthaftungsrecht) öffnet jetzt möglicherweise noch mehr ehemaligen KrebspatientInnen der Uniklinik Eppendorf die Tür zu einer Schadensersatzklage.
Die offensichtlich unzureichend erfolgte Aufklärung der PatientInnen über die Risiken, aber vor allem über mögliche Alternativen der Bestrahlungsmodalitäten stellt Giesen in den Mittelpunkt seiner Argumentation. „Hat der Arzt den Patienten nicht vorher ausreichend aufgeklärt, ist also die nachfolgende Einwilligung unwirksam, die Behandlung rechtswidrig und kann auch dann zu Schadenesersatzansprüchen des Patienten gegen Arzt und Krankenhaus führen, wenn die Behandlung an sich sachgemäß oder gar ärztlich indiziert war“, legt Giesen in dem Gutachten dar, das Wissenschaftssenator Leonhard Hajen von ihm angefordert hatte.
Die Frage, ob der inzwischen suspendierte Chefarzt der UKE-Strahlenabteilung, Klaus-Henning Hübener, zwischen 1987 und –90 möglicherweise Hunderte KrebspatientInnen durch zu hohe Einzeldosen verstrahlt hat, könnte so zum Nebenkriegsschauplatz werden. In zwei Darmkrebs-Fällen hatten Gutachter zu hohe Strahlendosen attestiert, die Behörde hat daraufhin 37 Fälle als Serienschäden anerkannt und bereits 2,6 Millionen Mark an Entschädigung gezahlt. Beim Patientenanwalt Wilhelm Funke haben sich aber bislang 306 Menschen gemeldet, die auf Spätfolgen nach strahlentherapeutischer Behandlung im UKE klagen wollen. Hübener bestreitet nach wie vor, seine Patienten verstrahlt zu haben: Die Nebenwirkungsrate liege im internationalen Vergleich und der Anteil der Überlebendernsei sehr hoch, führt er immer wieder zu seiner Verteidigung an.
Diese würde aber ins Leere laufen, wenn sich ein Verdacht bestätigt, den Giesen hegt. Daß die Kranken nämlich nicht darauf hingewiesen wurden, daß die Häufigkeit schwerer chronischer Strahlenfolgen mit zunehmender Strahlendosis ansteigt. Nach Giesens Ansicht hätten die Kranken in geigneter Form darauf hingewiesen werden müssen, daß „jedes Prozent Dosiserhöhung mit einer Erhöhung der Nebenwirkungsrate von mehreren Prozent gerechnet werden mußte und daß damit der – erhoffte, aber unsichere – Erfolg der vorgenommen Behandlung mit einem jedenfalls deutlich erhöhten Risiko erkauft werden mußte“. Ein Fakt, den auch Hübener bislang nicht bestritten hat. Der aber anscheinend, so kritisiert Giesen, in der „dokumentierten Aufklärung (der Patienten) auch nicht einmal ansatzweise erwähnt wird“.
Das Berliner Gutachten vom 23. Mai erhitzt derzeit vor allem ein Gemüt: das von Rechtsanwalt Funke. Der warf Senator Hajen gestern vor, das Papier bis jetzt „bewußt unter Verschluß“ gehalten zu haben, weil es seine Rechtsposition zur Rechtswidrigkeit der Strahlenbehandlung in vollem Umfang bestätigt habe. Hajen konterte: „Absurder Vorwurf“. Er habe das Gutachten gerade deshalb angefordert, um seine Argumentation im Interesse der Patienten hieb- und stichfest zu machen. Immerhin würden jetzt zur Entschädigung 30 Millionen Mark bereitgestellt.
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