Wo Mofa ein Schimpfwort ist

■ Scootergirls und Rollerorthodoxe entdecken bei „Rund um die Vespa“ die Leichtigkeit des Fahrens neu

Als ich mich mit den drei Scootergirls von Club der „Black Widows“ treffe, präsentiert sich die Harmonie in Huchtingen ungetrübt. Kein Windhauch Frauenpower stört die Windstille der Vorstadt. „Mit 14 Pony, mit 18 Vespa?“ Ahnen sie was sie sich vornehmen, wissen sie wer sie sind? Skadi Becker, (21), Sachbearbeiterin oder Bürokauffrau, („hört sich besser an“), Tanja Schankenberg, (22), angehende Zahnarzthelferin und ihre Freundin Sandra Sallein, (22), Technische Zeichnerin sind Scootergirls. Mir präsentieren sie sich mit ihren neuen Aufsticker auf der Bomberjacke, der Clubname klingt männerfressend und macht was her: „Black Widows“ (die ecklige Spinne hört auch im Englischen auf den Namen „Schwarze Witwe“), daß er sich allerdings in der Tradition der Jugendkultur und der großen Straßenschlachten in Brigthon befindet und für Randale steht, ist weit weit weg von Huchting.

Hier in Huchting hat Ute Koszin von der Medienwerkstatt in ihrem Dokumentarfilm: “Rund um die Vespa!“ Fahrer, Fans und Vereine zu Wort kommen lassen. Das Resultat für die Ewigkeit: Erinnerungen an einen halbes Jahrhundert Rollerlust, Sehnsüchte und Bekenntnisse: „Hast du die Vespa schon einmal von hinten angesehen? Ein Reh! Eine Gazelle. Kein Fahr-, ein Flugzeug soll es sein!“

Die Vespa, das Kultobjekt der 50er Jahre, von dem eine ganze Generation schwärmt, wie von der ersten Liebe, zählt mit Sicherheit zum Besten was der Krieg uns hinterlassen hat. Als der Flugzeugbauer Enrico Piaggio 1946 den ersten Prototyp bauen ließ, war das Material knapp, die Straßen zerstört und Geld hatte sowieso keiner, das Resultat: ein leichtes, überaus elegantes Zweirad mit Taille, die Vespa, - Konversion vom Feinsten.

Auch heute, fast ein halbes Jahrhundert später, ist für die Eingeweihten der Reiz, das Leichte, Elegante, Wespenhafte des Rollers - hinzugekommen ist der Kultcharakter des Objekts. Mir muß man das erst erklären: „Vespafahren ist Weltanschauung.“ philosphiert Philipp Duna, (61). Für Marc Reichert (30) steigert es sich zur „Stilfrage“ schlechthin und Sandra Sallein, von den Scootergirls und seit 3 Jahren im Sattel, findet die Kurzformel schlechthin: einfach „schööön!“ Überhaupt scheint das Ästhetische führend, für diese einzige weibliche Variante des Vespaclubs, von denen es in gemischtgeschlechtlicher Form, ich höre und staune, allein in Bremen 13 existieren.

Nur die Musik der Scooters hören sie auch: Ska, Soul, Motown. Auf das Frisieren der Maschinen angesprochen, im Deutschen Vereinswesen die Demarkationslinie zwischen orthodoxen Vespa-Fans, (“Nur Chrom gilt!“) und den anarchischen Schraubern, (“Motorräder fahren ja schon von alleine schnell, an der Vespa kann ich noch was machen!“) bekennt Skadi: „Ich fahr Original.“

Investieren wird die Bürokauffrau woanders, statt Tuning steht ein Airbrush für die Karosserie auf ihrem Wunschzettel. Mit der Sorge um das äußere Erscheinungsbild befinden sich die drei auf der Vespa in alter Tradition. Schon in den 50ern, als die Vespa in der Einheitsfarbe „goldbeige“ der Firma Hoffman auf den deutschen Markt kam, spielte das Schmutzabweisende der Fahrweise eine entscheidende Kaufentscheidung. Philipp Duna, (61), seit 1956 Vespafanatiker, erinnert sich genau. „So konnten wir im Sonntagsanzug fahren und gleich vom Roller auf die Tanzfläche. Auch die Bräute saßen im Petticoat auf dem Sozius, manche fuhren sogar im Damensitz. Und immer pikobello!“

Als er neben mir auf dem Sofa in Huchting, sitzt kommt der jetztige Besitzer eines Delmenhorster Autohauses in Fahrt. Neben ihm sitzen Sandra, Tanja und Skadi von den „Black Widows“, letzte ist seine Nichte, in Bomberjacke, Levisjeans und den internationalen Grobtretern Doc Martens, -aber bitte geputzt.

Für die Nachkriegsgeneration, die jungen Männer des weißen Jahrgangs, die zum ersten Mal nicht Wehrdienst leisten mußten, war die Vespa vor allem eins: erste Chance, aus der Provinz raus zu kommen. „Vogelfrei“ wollten sie sein, erinnert sich der Jahrgang unisono und knüpft damit an das Grundgefühl der Wandervogelbewegung aus des Weimarer Republik an. „Auf große Fahrt gehen“, das war das Größte. Die Vespa ermöglichte Beweglichkeit, als Deutschland noch uniformgrau war. An umgedrehte Wehrmachtsmäntel, aus denen Kleidung geschneidet wurde, macht Inge Danu, mir von Frau zu Frau deutlich: „Wir wollten pinkfarbene Sommerröcke und noch buntere Blusen. Auf der Vespa konnte man darin auch unterwegs sein, so langsam wie die fuhr.“ Vespazieren nennen die Rollerfans die Fortbewegungsart mit Höchstgeschwindigkeit 90km/h, einer Reisegeschwindigkeit, die auch noch das Wahrnehmen der Landschaft gestattet.

Für die Deutschen eine einmalige Entdeckung der Leichtigkeit. Das Tänzerische, Heitere ist den Vespafahrern auch heute noch eigen. Als der Abend sich neigt und in Huchting der Freizeitgrill Bratwurstdüfte verströmt, rollen sie von dannen, das Ehepaar Duna zum Autohaus nach Delmenhorst und die „Schwarze Witwe“ in den Discohimmel zu einem Freund, von dem sie mir erzählt hat: „Na ja, gut ist es schon das er auch Roller fährt, aber ich hätte auch einen normalen genommen.“ Susanne Raubold