Bewölkter Kleingartenhimmel

■ Berlins größte Gartenkolonie Blankenburg wehrt sich gegen Bundeskleingartengesetz / Die Laubenpieper wollen den Wohnungsmarkt durch Dauerwohnrecht entlasten

In der Garagenzufahrt auf dem Grundstück der Lehmanns hängt ein altes Emailleschild, das für „Somatose“, ein nervenstärkendes Kräftigungsmittel, wirbt. Davon könnten die Lehmanns jede Menge brauchen. Seit „wir den Krieg verloren haben“ – so umschreibt der 26jährige Sohn Martin die Wende –, dreht sich neben der Arbeit für die eigene Firma alles nur noch um den Garten. Die Lehmanns gehören zu den etwa 400 Dauerbewohnern der Anlage der „Garten- und Siedlerfreunde Blankenburg e.V.“ in Weißensee, die wie die insgesamt 1.500 Laubenpieper um den Fortbestand ihrer grünen Oase fürchten.

Im Ende Juni verabschiedeten Flächennutzungsplan ist das mit 85 Hektar größte zusammenhängende Kleingartengebiet Berlins mit direkter Anbindung an die S-Bahn und Bundesautobahn als Wohngebiet ausgewiesen. Wie viele Kleingartenflächen von Wohnungsbauvorhaben und Gewerbeansiedlung betroffen sein werden, ist noch unklar. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz will die fehlende Tangente zwischen Marzahn, Hohenschönhausen, Weißensee, Pankow und Reinickendorf quer durch die Anlage legen, die zur Entwicklungsachse Karow- Blankenburg gehört. Gegen die geplante Trasse gab es über 300 Einwendungen und mehrere Alternativvorschläge. Im gesamten Bezirk Weißensee, der mit über 6.000 Parzellen nach Pankow und Neukölln auf Platz drei der Schreberhitliste steht, soll mehr als ein Drittel der Kleingärten umgewidmet oder verlegt werden.

Viele der Blankenburger Pächter sind im Deutschen Siedlerbund statt im Kleingartenverband organisiert. Denn dieser favorisiere das Prinzip des „Auswohnens“, so Hannelore Lehmann, Vorsitzende der Bürgerinitiative Blankenburg. Die Lehmanns wohnen seit 1972 in ihrer auf 120 Quadratmeter Wohnfläche ausgebauten Laube, die es mit jedem Einfamilienhaus aufnehmen kann. Für den Ausbau wurden Kiesfahrer schon mal mit einem „Hunni“ bestochen und die Oma zum Fliesenkaufen in den Westen geschickt.

Nun soll alles umsonst gewesen sein: Die Lehmanns genießen zwar bis an ihr Lebensende Wohnrecht. Der Sohn aber müßte das Haus, vorausgesetzt er bekommt es, nach dem Bundeskleingartengesetz auf eigene Kosten auf 24 Quadratmeter zurückbauen. Denn das seit Mai geltende Gesetz sieht keine Erbfolge vor. „Das kommt einer Enteignung gleich“, schimpft Hannelore Lehmann.

Die Blankenburger haben alle vor 1990 Pacht- und Nutzungsverträge abgeschlossen, Wie lange diese aber laufen, ist unklar. Ebenso im dunkeln liegt die Aussicht, mit einem Vorkaufsrecht die Häuser und Lauben zu erwerben. So ist Hannelore Lehmann einerseits froh, daß die Stadt Berlin Eigentümerin des Grund und Bodens und dieser nicht mit Restitutionsansprüchen belastet ist. Andererseits habe der Senat somit „billiges Bauland“, klagt sie. Bundeskleingartengesetz und kryptische Termini wie die sogenannte Sachenrechtsbereinigung sind für Hannelore Lehmann längst keine Fremdwörter mehr. Die Bürgerinitiative konnte vor zwei Jahren beim Senat erreichen, daß dieser zusammen mit der Wohnungsbaugesellschaft Weißensee ein Architektenbüro beauftragte, das die Anlage unter die Lupe nahm. „Rausgekommen ist zwar nicht viel“, so Lehmann, „aber ich habe jetzt sehr viel mehr Wissen, um mich besser zur Wehr setzen zu können“. „Jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden“, sagt sie entschlossen. Sie weiß zwar, daß „die Anlage nicht 100prozentig gerettet werden kann, aber wir dürfen uns nicht einigeln“. Sie kann überhaupt nicht verstehen, daß der Senat nicht auf den Wunsch vieler Sommerbewohner eingeht, dauerhaft in Blankenburg zu wohnen und damit den Wohnungsmarkt zu entlasten.

Ein weiteres Problem sieht Hannelore Lehmann in den „vielen Sozialfällen“ in Blankenburg. Damit meint sie die Kleingärtner, die aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit die Miete für eine Stadtwohnung nicht mehr zahlen können und „anstatt unter der Brücke zu schlafen“ ohne Genehmigung in ihrer Laube leben. Wie grotesk diese „Illegalität“ ist, zeigt sich daran, daß die Anlage fast über alle Möglichkeiten normalen Wohnens verfügt: eigenes Wassernetz, Strom und teilweise Kanalisation. Auch ein Telefon ist längst kein Luxus mehr. „Die Telekom akzeptiert uns als Kleinsiedlung“, sagt Hannelore Lehmann, „der Senat nicht“. Barbara Bollwahn