■ Dokumentation eines Briefs vom Subcomandante der Aufständischen, Marcos, aus Chiapas, Mexiko
: An: Carlos Fuentes, Schriftsteller

Aufgrund verschiedener Wendungen des Schicksals finde ich mich jetzt dabei, wie ich diesen Brief an Sie schreibe. Ich sehe mich, wie ich versuche, Sie von etwas zu überzeugen: Diese neue Krise und die Notwendigkeit der Veränderung, die zart und schüchtern noch in der mexikanischen Luft liegt, sie brauchen Ihren Blick und Ihre Worte. Ich sehe mich, der ich ohne Gesicht bin und ohne Namen, wie ich die Waffen beiseitelege und wie ich versuche, mit Ihnen von Mensch zu Mensch zu sprechen, von Hoffnung zu Hoffnung.

Ich weiß wohl um das Mißtrauen und die Befürchtungen, die unsere Schritte seit Beginn des Jahres begleiten; ich weiß wohl um die Skepsis, die unser holpriger und anonymer Diskurs erweckt, unsere Waffen und unser wahnsinniges Vorhaben, uns mit Gewehren einen Platz in diesem Etwas zu schaffen, das die Schulbücher einmal „Vaterland“ genannt haben.

Aber ich muß alles versuchen, um Sie davon zu überzeugen, daß damit die Waffen schweigen, die Ideen sprechen müssen, immer lauter, viel lauter als die Schüsse. Ich muß Sie nicht nur davon überzeugen, daß wir es alleine nicht schaffen, dieses Banner zu halten, das wieder über unserem Land zu wehen beginnt. Ich muß Sie davon überzeugen, daß auf die lange Nacht der Schande, die all diese Jahrzehnte hindurch auf uns gelegen hat („Wie erscheint dir die Nacht?“ fragt Macbeth, und Lady Macbeth spricht ihr Urteil: „Im Kampf mit dem Morgen, Hälfte zu Hälfte.“), nicht notwendigerweise das Morgengrauen folgt, daß auf die Nacht genausogut eine weitere lange Nacht folgen kann, wenn wir ihr nicht ein Ende bereiten, mit der Macht der Vernunft, jetzt.

Ich weiß, daß es paradox klingt, wenn eine bewaffnete, anonyme und illegale Gruppe zur Stärkung einer zivilen, friedlichen und legalen Gruppe aufruft. Ich weiß, daß es absurd erscheinen mag, aber Sie werden mit mir darin übereinstimmen: Wenn etwas für dieses Land, für seine Geschichte und seine Menschen charakteristisch ist, dann ist das dieses absurde Paradoxon von Gegensätzen, die aufeinandertreffen, von Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Moderne, Gewalt und Pazifismus, Militärs und Zivilen. Anstatt diese Gegensätze nun zu leugnen oder zu rechtfertigen, haben wir sie einfach als solche angenommen und anerkannt und versuchen nun, unser Wirken nach ihrem nicht nur willkürlichen Diktat auszurichten.

Kurz und gut: Das eigentliche Anliegen dieses Briefes ist es, Sie zur „Nationalen Demokratischen Konvention“ einzuladen. Ja, eine Konvention von Zivilen, die von Militärs einberufen wird (die zwar Revolutionäre sind, aber letztendlich doch Militärs bleiben). Ja, eine friedliche Konvention, die von Gewalttätern einberufen wird. Ja, eine Konvention, die auf der Legalität beharrt und die von Illegalen einberufen wird. Ja, eine Konvention von Männern und Frauen mit Namen und Gesicht, einberufen von namenlosen Menschen mit verdecktem Antlitz. Ja, eine paradoxe Konvention, und deshalb kohärent mit unserer vergangenen und unserer künftigen Geschichte. Ja, eine Konvention, die das Banner der Demokratie trägt, der Freiheit und der Gerechtigkeit, alles Flaggen, die in fremden Ländern schon wehen, unserem eigenen Land bislang aber noch verwehrt sind. Das war es, was ich wollte: Sie dazu einladen. Es wäre uns eine große Ehre, Sie zu empfangen und Ihnen zuzuhören.

Von uns selbst können wir nicht viel mitteilen, um auf durchaus verständliche Zweifel und Fragen zu antworten: Wir können nur so viel sagen, daß wir Mexikaner sind (wie Sie), daß wir Demokratie wollen (wie Sie), daß wir Freiheit wollen (wie Sie), daß wir Gerechtigkeit wollen (wie Sie). Was also sollte gegen ein solches Treffen zwischen Mexikanern sprechen? Absurd und paradox? Ich weiß. Aber gibt es denn irgend etwas in diesem Land, das nicht so wäre?

Nun gut, Señor Fuentes, wir denken, wir hätten nicht einfach weitergehen können, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, mit Mexikanern wie Ihnen zusammen zu gehen. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, Sie einzuladen, und schon gar nicht, ob ich Sie überzeugen konnte. Ich weiß auch, daß Sie, selbst wenn Sie den Willen zur Teilnahme hätten, vielleicht keine Zeit haben werden, um in dieser entlegenen Ecke Mexikos vorbeizuschauen. Wie auch immer, ich grüße den Mann des Wortes, den Diplomaten, den Forscher, vor allem aber grüße ich den Mexikaner.

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens Subcomandante Marcos, Chiapas, im Juni 1994