Der deutsche Junior wird erwachsen

Am Sonntag abend beginnt der Staatsbesuch von Bill Clinton in der Bundesrepublik  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Diese Männerfreundschaft geht durch den Magen. Wenn der deutsche Bundeskanzler in Washington weilt, dann steht neben offiziellen Verpflichtungen meist ein abend- und bauchfüllendes Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten auf dem Programm. Wenn Bill Clinton am Sonntag seinen Deutschlandbesuch antritt, dann gibt es in dem dichtgedrängten Besuchsprogramm nur einen geruhsamen Abschnitt: ein Abendessen im Hause Kohl.

Beiden Politikern kommt dieser Staatsbesuch aus ganz eigenen, nationalen Interessen gelegen: Bill Clinton wechselt mit seiner Europareise wieder einmal auf das internationale Parkett, um seine arg angeschlagene Reputation als Außenpolitiker aufzubessern und so seine Position im innenpolitischen Showdown um die Gesundheitsreform zu stärken. Seine Auftritte in Bonn und Berlin sind neben dem G-7-Gipfel und dem Zusammentreffen mit Rußlands Präsident Boris Jelzin die für die US-Öffentlichkeit wichtigsten Stationen. Mit seiner Rede vor dem Brandenburger Tor am Dienstag würde sich der US-Präsident liebend gerne in die Geschichtsbücher katapultieren. Genügend Symbolik gibt die Bühne jedenfalls her: Bill Clinton, der erste US-Präsident, der nach Ende des Kalten Krieges Deutschland besucht, spricht in jener Stadt, in der sein großes Vorbild John F. Kennedy einst „Isch bin ain Bählinner“ radebrechte; und an jenem Ort, an dem der selbsterklärte Sieger des Kalten Krieges, Ronald Reagan, 1987 mit geschultem Schauspielerpathos über die Köpfe des SED-Politbüros hinweg gen Osten rief: „Mr. Gorbatschow, reißen Sie die Mauer ein.“

Helmut Kohl kann die Visite des US-Präsidenten problemlos in eine Wahlkampfveranstaltung ummünzen: Jenen Rückenwind, den sich die Sozialdemokraten nach dem Wahlsieg Clintons erhofften, kann Kohl nun in seine Richtung umleiten, seitdem sich abzeichnet, daß sich das Drehbuch des amerikanischen Wahlkampfs nicht so einfach auf die Bundesrepublik übertragen läßt: Ein Scharping macht noch keinen Clinton, und ein Kohl hat mehr Sitzfleisch als ein Bush.

Politisch bedeutsam an Clintons Besuch ist, daß der US-Präsident mit konkreteren Vorstellungen und Ansprüchen an die außenpolitische Position Deutschlands anreist. Noch vor seiner Abreise nach Europa hatte Clinton in der Süddeutschen Zeitung und mehreren anderen ausländischen Zeitungen erklärt, einer führenden Rolle in der Weltpolitik könne sich Deutschland gar nicht mehr entziehen.

Bereits Ende Januar hatte die „Carnegie Endowment For International Peace“, ein amerikanischer think tank unter Federführung des ehemaligen Vize-Direktors des Berliner „Aspen Instituts“, Daniel Hamilton, in einer Studie mit dem Titel „Nach Bonn– Amerika und die Berliner Republik“ die künftigen deutsch-amerikanischen Beziehungen skizziert. Demnach tritt an die Stelle des Konzepts des Juniorpartners Deutschland die Idee einer Kooperation auf den Gebieten der Sicherheits-, Wirtschafts- und Umweltpolitik, in der der „Berliner Republik“ uneingeschränkt die Rolle einer europäischen Regionalmacht zugeordnet und damit erste Priorität in der US-Außenpolitik eingeräumt wird. Hamilton ist inzwischen leitender Mitarbeiter an der US-Botschaft in Bonn.

Allerdings ist das Deutschland- Bild keineswegs nur durch einen Vertrauensvorschuß in die „Berliner Republik“ geprägt. Erst im April dieses Jahres sorgte der Deutschlandkenner und leitende Beamte des Berliner Büros der US-Botschaft, Douglas Jones, für Unmut im Bundeskanzleramt und Unruhe im amerikanischen Außenministerium, als er ganz undiplomatisch Xenophobie und Rassismus in Deutschland beim Namen nannte und Bundeskanzler Kohl für die Verbreitung jener rechtskonservativen Lebenslüge kritisierte, wonach Deutschland kein Einwanderungsland sei.

Bill Clinton hat sich für seinen Deutschlandbesuch vorgenommen, Themen wie Neonazismus und Xenophobie nicht auszusparen. Die Frage ist, ob sich dafür zwischen Saumagen und Dessert genügend Zeit findet.